Oskar levitiert erfolgreich!
Jeden Abend gibt der nette Mann aus der Küche mir ein Stück Möhre.
Möhre ist klasse!
Jetzt jedoch liegt sie auf der Kante des Eimers, der immer so streng riecht.
Wäre ja nicht weiter schlimm, stünde der Eimer nicht schon wieder hinter dieser Stufe und weit außerhalb meiner Reichweite.
Mist, verdammter!
Und schon wieder liege ich vor dieser verflixten Stufe, lege mein Kinn darauf und konzentriere mich:
"Komm!
Komm zu mir!
Hey, Möhre, alter Kumpel, schwing dich zu mir!
Wie wär's mit uns:
Nur du und ich; für ewig im Magen vereint?"
Manchmal fürchte ich, mein halbes Leben könnte im Liegen vor dieser dämlichen Stufe verrinnen,
während ich mich verzweifelt abmühe und meine geistigen Anstrengungen als schnödes Betteln abgetan werden!
Und wie so oft mühe ich mich vergebens, denn die blöde Möhre rührt sich nicht.
Gut, so langsam bin ich diese Ignoranz von den Objekten meiner Begierde gewohnt.
Dennoch gebe ich nicht auf, denn an meine allabendliche Möhre habe ich mich gewöhnt und auch daran,
dass der nette Küchenmann sie mir stets vor die Nase tragen muss, weil sie genau wie der Frischkäse nicht von selber zu mir kommt.
Aber heute läuft es anders als sonst, irgendwie theatralischer:
Dämliche Möhre liegt regungslos auf Eimer,
Küchenmann macht überhaupt keine Anstalten zur Übergabe,
Chef zeigt zuerst auf sie und dann mit übertriebem langen Finger auf die Stufe:"Stop!"
Bin ich tatsächlich umgeben von herzlosen Zweibeinern, die einem hilflosen Rübenstück den Weg zu seiner Bestimmung verweigern?
Was überhaupt soll das ganze Getue, das Ding ist doch sowieso für mich bestimmt, und über die Stufe laufe ich eh nur, wenn ich ganz sicher unbeobachtet bin - zumindest nur, wenn ich mich so fühle...
Und außerdem: wer soll hier und jetzt erzogen werden, die Möhre oder ich?
Und wozu?
Schließlich liegen wir beide seit Anbeginn der Zeiten ganz treu und brav jeder auf seinem angewiesenen Platz!
Ich versuche, sie zum Ungehorsam zu überreden, denn sicher ist sicher:
Ständig steht einer der beiden bei mir, und ich will mich nicht erwischen lassen.
Schließlich bin ich nicht blöde, die Möhre jedoch vielleicht schon...
"Gib alles, kleine Rübe!
Spring vom Eimer und rolle nur ein wenig zu mir, den Rest mache ich!
Vertrau mir; ich bin Oskar, ich lasse dich nicht im Stich!"
Drecksmöhre, dreckige!
Liegt da wie taub und rührt sich nicht.
Ich könnte echt verzweifeln.
Verdammt, jetzt höre ich auch noch den Küchenmann, wie er über den Boden schubbert.
Gleich wird er den Eimer weg nehmen, und damit auch die Möhre.
Ist ja klar, wo sie doch devot und ignorant auf dessen Rand herumlungert und der Küchenmann den Eimer gleich brauchen wird.
Trotzdem betrete ich die Stufe ganz bestimmt nicht, nachdem mir doch ständig und von allen Seiten in's Ohr gehämmert wird, wie sehr sie 'STOP!!' ist;
doch beschwöre ich mein Möhrenstück weiterhin:
"Du bist mein; ich bin dein, lass nur dich in mein Mägelein!"
Mein Chef steht hinter mir, der Küchenmann vor mir, so langsam gebe ich auf und verliere die Lust.
Und da geschieht es, ganz einfach so:
Beide nicken, ich nicke einfach mal mit, und plötzlich fasse ich die Möhre mit meinen Zähnen!
Mann, ist die lecker!
Da könnt ihr mal sehen, was die Kraft des Geistes alles bewirken kann, wenn sie nur gezielt und konzentriert eingesetzt wird...
Euer glücklicher Oskar
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