Regeln helfen nicht
Ok, zugegeben, ein sehr provokanter Titel, der in dieser Absolutheit natürlich nicht stimmt. Aber trotzdem ist er im Kern wahr. Das ist mir klar geworden, als ich bei Google+ eine Diskussion von Graham Walmsley verfolgt und mit diskutiert habe.
Worum geht es also?
Betrachten wir doch einmal Regeln. Es gibt zwei Arten von Regeln. Mathematische Regeln und Regeln, die mit Erklärungstext daherkommen. Ich nenn sie mal semantische Regeln.
Ein Beispiel für eine mathematische Regel ist: Würfel mit einem W20, addiere Deinen Erfolgswert. Wenn Du auf 20 oder darüber kommst, ist der Einsatz der Fertigkeit gelungen.
Das ist klar und einfach. Jeder kann die Regel anwenden ohne groß nachzudenken.
Schauen wir uns jetzt mal ein Beispiel einer semantischen Regel an: Angriffe aus erhöhter Position geben +2 auf den Angriffswurf. Ich lass mal wegen etwaiger Leser die nicht Midgard spielen die korrekten Termine wie z.B. EW:Angriff weg.
Die zweite Regel ist interpretierbar. Was ist eine erhöhte Position? Reicht es wenn ich mich auf meine Zehenspitzen stelle? Sind 50 cm genug? 1m? Wie weit muss ich über dem Opfer stehen, damit der Modifikator zieht? Von einem Pferd aus kann ich beim Schlag meine +2 in Anspruch nehmen. Wirklich? Bei einem Mensch ja. Aber bei einem Oger? Wo ziehen die Regeln hier die Grenze? Wie groß ist mein Pferd eigentlich?
Mehr und mehr Regeltext wird notwendig um wirklich jede Detailfrage in einem Regelwerk zu klären.
Hier sage ich: Halt! Stop! Je mehr Erläuterungen man in Regeln packt, je mehr Diskussionsbedarf entsteht. Egal wie viel ich schreibe, der Diskussionsbedarf wird nicht weniger werden - im Gegenteil. Man schaut sich nur mal hier im Forum die Diskussion rund um Tiermeister an. Was bedeutet der Satz "Kann seine tierischen Gefährten in Kampfsituationen und ähnlichem führen wie die eigene Figur" (sinngemäß zitiert). Darüber gibt es hunderte von Beiträgen.
Seltsamerweise funktioniert eine semantische Regel in einer Hausrunde. Zusammen definiert man Regeln, die zum Teil weit über die Komplexität von den schon sehr komplexen Midgard-Regeln (oder DSA, oder GURPS, oder oder oder) hinausgehen. Trotzdem gibt es kaum Unterschiede in der Anwendbarkeit.
Woran liegt das? Meines Erachtens daran, dass gemeinsam erschaffene, bzw. erarbeitete Regeln Eingang in den gemeinsamen Vorstellungsraum finden. Jeder in dem kleinen Kreis der eigenen Gruppe hat in etwa das gleiche Verständnis für die neue Regel. ich habe beobachtet, dass je größer die Gruppe ist, je schwieriger wird es dieses gemeinsame Verständnis zu finden. Kommt jetzt diese Regel von außen in die Gruppe herein, hat man schnell das Gleiche Problem wie mit geschriebenen Regeln im Hauptregelwerk.
Was für einen Schluss ziehe ich aus meinen Erkenntnissen?
Regeln müssen kurz und knapp sein. Je mehr Facetten durch zusätzlichen Regeltext ich in ein Regelwerk bringe, je mehr unterschiedliche Betrachtungsweisen kann eine Regel haben. Je weniger Facetten eine Regel hat, je geringer fallen die potentiellen unterschiedlichen Sichtweisen aus.
Das führt zwangsläufig zu Regellücken. "Was? XY ist im Regelwerk nicht definiert! Was ein Mist!" Falsch, kein Mist. Je mehr Text, je mehr unklare Stellen gibt es in Regeln, die wieder durch mehr Regeln erklärt werden müssen. Deshalb ist die Konsequenz: Nur das nötigste an Regeln notieren. Den Rest kann der Regelautor den Hausrunden überlassen. Strittige Passagen kann man nicht vermeiden. Man kann als Autor nur deren Anzahl reduzieren indem man sich knapp hält.
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