Erste Enthüllungen
[spoiler=Wächter der steinernen Flamme]
Im Laufe des nächsten Morgens, an dem nach wie vor sehr gedrückte Stimmung herrschte, wurden wir Zeuge eines Streits zwischen Dara und ihrem Vater. Ich wollte wirklich nicht lauschen, aber sie stritten so laut, man kam gar nicht umhin, sie zu hören. Jedenfalls bekam ich mit, dass es um Cordovan, den Jagdaufseher des Dorfes ging, an dem Dara offensichtlich Gefallen gefunden hatte. Scheinbar hatte ihr Vater jedoch etwas dagegen einzuwenden. Dara flüchtete sich nach einigem Geschrei in die Kerzenzieherei, in der inzwischen gründlich sauber gemacht worden war.
Da es sonst nicht wirklich viel zu tun gab, liefen wir ein wenig im Dorf herum und hörten uns nach Geschichten von Skeletten und Rüstungen um. Auch bei Dara sahen wir natürlich mal vorbei und fragten sie ein wenig aus. „Worüber habt ihr euch denn so gestritten?“, fragte ich sie unschuldig. „Ach, es ging um Cordovan. Mein Vater will mir verbieten, mich mit ihm zu treffen. Aber er sagt mir nicht warum! Auf jeden Fall kann er mir keinen vernünftigen Grund nennen!“ Wir versprachen ihr, mal mit ihrem Vater zu reden - vielleicht würde er uns ja einen vernünftigen Grund nennen können.
Zunächst jedoch gingen ein paar von uns zur Müllersfrau, die scheinbar nicht sehr viele Freunde hatte, da sie und ihr Mann aus der Stadt zugezogen waren. Wir leisteten ihr ein wenig Gesellschaft und überredeten sie, später mit zum Wirtshaus zu kommen. Mir schien sie eine sehr nette Frau zu sein - ich konnte gar nicht verstehen, warum sie im Dorf so gemieden wurde.
Anschließend gingen wir mit ihr ins Gasthaus zurück, wo wir uns eine Weile mit der Wirtin Josmine unterhielten, und scheinbar hatte auch Caya, die Müllerin, ihren Spaß dabei. Als Josmines Mann Bermann Zeit und Muße für ein Schwätzchen hatte, fragten wir auch ihn zu dem Streit vom heutigen Morgen, doch er sagte nur, das ginge uns nichts an, Cordovan sei ein „Schürzenjäger“, und er mache sich nur Sorgen um seine Tochter. Wir sollten nur mal Maren, die Schmiedin fragen! Aber so richtig überzeugend war diese Vorstellung nicht. So beschlossen wir, mal mit Maren und Cordovan zu sprechen.
Vorher baten wir jedoch Caya, ihr Boot benutzen zu dürfen, um nochmal zum See zu fahren, bei dem Reina und Ganymed das Skelett am vorigen Tag aus den Augen verloren hatten - denn seine Rüstung sah genauso aus wie die, die beim ermordeten Vilbert Bärentod im Schrank gehangen hatte. Nur etwas stärker beansprucht, versteht sich. Caya lieh uns das Boot gerne, und so fuhren und liefen wir zum See. Dort angelangt entdeckten wir tatsächlich mitten im See auf einer Insel ein Skelett mit Rüstung!
Da das Ruderboot nur zwei große Leute auf einmal fasste, mussten wir mehrfach übersetzen, bis alle, die dabei sein wollten, auf der Insel waren. Das waren: Ithilwen, Elwedritsch, Cliona, Farand, Guineth und ich. Der Plan war, das Skelett irgendwie festzuhalten, so dass wir mit ihm reden konnten - wie auch immer man mit einem Skelett reden will. Wir hatten auf der anderen Seite der Insel angelegt, so dass ein Felsen uns vom Skelett trennte. Leise schlichen wir um den Felsen herum, und da lag es. Es schien zu schlafen. Farand trat einen Schritt vor. „Hallo?“ Das Skelett zeigte keine Reaktion. Farand trat noch einen Schritt vor. „Entschuldigung?“ Plötzlich bewegte sich das Skelett, sprang auf und stürzte aufs Wasser zu. Dann passierte ganz viel gleichzeitig: Der Boden vor dem Skelett wurde ganz matschig, Elwedritsch pustete irgendein Pulver aus einem kleinen Röhrchen auf den Matsch, und Seile, die aus dem Nichts entstanden waren, schlangen sich um Arme und Beine des Skeletts. Es wehrte sich heftig, kam aber nicht frei. Es machte komische klackende Geräusche, die keiner Sprache ähnlich klangen, die ich kannte. Allerdings stelle ich es mir auch eher schwierig vor, als Skelett zu sprechen. Oder gar zu essen - wie furchtbar das sein muss, jahrhunderte nichts essen zu können!
Verzweifelt versuchten wir in allen uns bekannten Sprachen, dem Skelett verständlich zu machen, dass wir ihm nichts tun wollten, aber lange Zeit ohne Erfolg - bis Cliona in eine mir bis dahin völlig unbekannte, jetzt jedoch sehr geläufige Sprache verfiel. Es war Maralinga, wie sie uns später erklärte, die Sprache der Valianer. Das Skelett beruhigte sich auf ihre Worte hin etwas, machte aber weiterhin klackernde Geräusche. Cliona sagte wieder etwas, es klang nach einer Frage, das Skelett nickte und klackerte. Das ging eine ganze Weile so, bis die Seile irgendwann vom Skelett abfielen. Wir schipperten wieder gemütlich zum Ufer zurück, das Skelett mit uns, und erst dort erklärte Cliona uns, was sie erfahren hatte. Wir sahen jetzt, dass das Skelett einen Schlüssel um den Hals hatte.
Das Skelett bestätigte uns, dass es das einzige seiner Art war, das hier rumlief, dass es aber manche Leute gab, die nachts in einer Rüstung, die seiner glich, herumliefen. Wer das war, konnte es uns allerdings nicht sagen, denn seine Antworten beliefen sich auf „ja“ und „nein“. Außerdem konnten wir mit einigem Herumraten herausbekommen, dass es auf einen „Meister“ wartete, der wiederkommen sollte, und dass es noch mehr von den Schlüsseln gab.
Da das Skelett nicht mit ins Dorf kommen wollte, ließen wir es im Wald, wo es auf uns warten wollte. Dann sprachen wir mit Maren, der Schmiedin. Sie gab ohne Umschweife zu, eine Rüstung zu besitzen, wie auch Vilbert sie besessen hatte, konnte uns aber nicht sagen, woher sie stammte, und wollte von Schlüsseln nichts wissen. Zu Cordovan sagte sie nur, dass er ihr eine Zeit lang hinterhergelaufen sei, aber von ihr einen Korb erhalten habe. Ein erneutes Gespräch mit dem Wirt, bei dem ich nicht zugegen war, muss wohl in einen heftigen Streit ausgeartet sein - jedenfalls hat er uns rausgeschmissen. Einfach so! Ich meine, was ist das denn für eine Gastfreundschaft, Gäste rauszuschmeißen, nur weil sie ein paar Fragen stellen? Das ist doch unmöglich! An den Rest des Tages kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern, weil diese unglaubliche Unhöflichkeit der großen Leute mir so zu schaffen machte. Die anderen redeten noch mit allen möglichen Leuten, scheinbar waren sie an diese Ungepflogenheiten gewöhnt. Am Abend behaupteten sie dann, sie wüssten jetzt, wer alles Rüstungen und Schlüssel hätte. Woher sie das mit den Schlüsseln jetzt wieder wussten, konnte ich mir nicht erklären, aber wenn sie da so zuversichtlich waren, dann würden sie schon wissen, was sie wussten und was nicht. Oder so.
Jedenfalls quartierten wir uns für diese Nacht beim Müller ein, da der Wirt uns ja nicht mehr da haben wollte - so eine Unverschämtheit! Da war es zwar jetzt sehr voll, aber irgendwie konnte man schon schlafen. Niphredil und Ganymed zogen es vor, draußen auf einem Baum zu schlafen, also mussten wir nicht ganz so viel stapeln. Nach einer weiteren halben Stunde, in der ich mich noch über den Wirt aufregte, schlief auch ich endlich ein.
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