Eine Prise Salz
[spoiler=Wächter der steinernen Flamme]
Wir machten noch einen Umweg über das Dorf, um dort einmal nach dem Rechten zu sehen. Unglücklicherweise war der Wirt im Laufe des Morgens ebenfalls ermordet worden. Das Schlimmste befürchtend, eilten wir zum Köhler zurück. Niphredil sagte das Losungswort, und man lies uns ein. Dort sah es ziemlich übel aus. Es lebten noch alle, aber sie waren totenbleich, husteten und hielten sich den Bauch, als hätten sie Krämpfe. Rasch trieb Niphredil das Gift aus ihren Körpern, das sich dort eingenistet hatte. Dann hieß sie Marcello berichten. „Es muss das Wasser gewesen sein“, meinte der. „Wir hatten Durst, also haben wir Wasser aus dem Brunnen vor dem Haus geholt. Wir alle haben davon getrunken.“ Niphredil und Reina sahen sich den Brunnen genauer an und stellten fest, dass Marcello recht hatte. „Er muss hier in der Nähe sein. Wahrscheinlich wartet er, bis seiner Meinung nach alle an dem Gift gestorben sind. Alle, die noch Schlüssel haben, sind jetzt hier.“ Das war Ganymed. „Wir glauben, er ist unsichtbar, oder?“ Elwedritsch war es, der das fragte. Einige nickten. Das war mir zwar neu, aber sie schienen sich da sehr sicher zu sein. „Damit wir ihn bekämpfen können, müssen wir es also erstmal schaffen, ihn sichtbar zu machen, ja?“ Wieder nickten einige. „Gut, ich habe eine Idee. Ich glaube“ - er wandte sich zu den Dörflern - „es wird Zeit, euch jemanden vorzustellen.“ Was hatte dieser Gnom vor? Er ging mit Cliona hinaus, wobei er in einem merkwürdigen Dialekt, der ihr wohl auch geläufig war, auf sie einredete. Sie verschwanden hinterm Haus und klopften kurze Zeit später wieder an die Tür. „Also,“ begann Elwedritsch, „ihr braucht euch jetzt nicht erschrecken. Er ist ein ganz lieber.“ Und hinter ihm trat unser Skelettfreund ein. Trotz der Vorwarnung fasste der Köhler nach seinem Hammer, doch Reina fiel ihm rechtzeitig in den Arm. Ganz wohl war den Dörflern allen nicht, aber zumindest fürs erste verhielten sie sich ruhig. Und dann erklärte uns Elwedritsch seinen Plan.
Etwa eine Stunde später verließ der Köhler das Haus mit zwei Eimern, den Schlüssel gut sichtbar über dem Hemd, unter dem die Rüstung verborgen war. Als er etwa hundert Meter weit gekommen war, hörte man ein dumpfes „Plock“, wie wenn ein Armbrustbolzen auf eine Rüstung trifft, und ein lautes Scheppern. Teil 1 des Plans hatte funktioniert. Elwedritsch saß am Guckloch und beobachtete die Szene. In der Hütte war es mucksmäuschenstill. Nach etwa zwei Minuten gab es nochmal ein lautes Scheppern, Elwedritsch schnippste mit den Fingern, die Tür flog auf und sämtliche Nah- und Fernkämpfer, die einigermaßen schnell im Wald vorwärtskamen, preschten vorwärts. Das als Köhler verkleidete, mit Kissen ausgestopfte Skelett hatte sich aus dem Staub gemacht, aber von der Stelle wo es gelegen hatte, bewegte sich ein Schwarm Fliegen sehr schnell von uns weg. Ithilwen und Ganymed waren die ersten, die dem Fliegenschwarm folgten, Ganymed beschleunigt und den Fliegen folgend, Ithilwen den Spuren und Ganymed folgend. Elwedritsch wandte sich zum verbleibenden Publikum um: „Das war Teil 2 und 3. Jetzt will er sich bestimmt im See waschen gehen, aber das wird ihm auch nichts nützen.“ Der Schlüssel, den das Skelett umgehabt hatte, war mit Fliegensalz bestreut gewesen. Und dagegen half eben auch Waschen nicht.
Wir schlenderten gemütlich zum See, wobei wir die Schlüsselträger anwiesen, im Haus des Köhlers zu bleiben. Wir konnten nur hoffen, dass der restliche Teil des Plans ebenso gut laufen würde, wie der Anfang. Am See angelangt sahen wir gerade noch, wie aus einem der nahe am Ufer stehenden Bäume ein Pfeil in Richtung der Insel, die sich mittem im See befand, schwirrte. Mit erheblich mehr Krach, als bei einem Pfeil der Fall sein sollte, traf der Pfeil auf einem Felsen auf der Insel auf und explodierte in einer Feuerkugel. Als ich genauer hinsah glaubte ich, einen Haarschopf hinter dem ehemaligen Felsen hervorlugen zu sehen, der eilig eine andere Stellung bezog. Sekundenbruchteile später ließen sich Ganymed und Ithilwen aus verschiedenen Bäumen herunter und rannten in entgegengesetzte Richtungen, um ihrerseits neue Stellungen zu beziehen. Dermaßen in die Zange genommen, konnte der Mörder nicht entkommen! Es hagelte noch einige Pfeilschüsse, bis sich das Ziel nicht mehr regte. Mit gebührender Vorsicht und dem Boot der Müllersleute gelangten Ithilwen und Niphredil zuerst auf die Insel. Niphredil verkündete offiziell den Tod des Thanaturgen. Wir nahmen ihm seine Sachen ab, unter anderem drei Schlüssel, und schafften ihn ins Dorf, während die verbleibenden Schlüsselträger informiert wurden, dass sie jetzt wieder sicher seien. Der Thanaturg, der am ganzen Körper tätowiert war, wurde verbrannt - um auch ganz sicher zu gehen, dass er tot war - und vereinbarten mit der Schmiedin, dem Köhler, Cordowan und unserem Skelettfreund, der sich wieder im Wald versteckt hatte, ein Treffen zwei Stunden vor Mitternacht, bei der „steinernen Flamme“, jenem merkwürdig geformten Stein im Wald, bei dem die Schlüsselträger sich jeden Neumond trafen. Dort sollte dann irgendwas passieren, irgendein Tor oder so sollte aufgehen, unser Skelettfreund war scheinbar der einzige, der genau bescheid wusste, und der konnte nunmal nicht mit uns reden.
Ein bisschen unheimlich war es schon. Das Skelett hatte uns zu verstehen gegeben, dass wir etwas zum Graben mitnehmen sollten, und so fingen wir um 10 Uhr an, die „steinerne Flamme“ auszugraben. Eine Viertelstunde vor Mitternacht hatten wir den Stein soweit freigelegt, dass unser Skelettfreund zufrieden war. Gespannt warteten wir die letzte Viertelstunde. Um Punkt Mitternacht begann der Stein, Konturen zu bekommen, die vorher nicht dagewesen waren. Nach kurzer Zeit erkannten wir, dass es sich um Schlüssellöcher handelte. Wir nahmen die Schlüssel zur Hand und steckten sie in die Schlösser. Sie passten problemlos und ließen sich leicht drehen. Als alle Schlüssel an ihrem Platz waren, verschob sich ein Teil vom Stein, es erschien ein Durchgang, der in den Stein hineinführte. Wir gingen hinein. Vor uns standen sieben Säulen, auf denen jeweils ein dickes Buch lag. Neugierig näherten wir uns den Säulen und betrachteten die Bücher. Cliona schlug eines auf und meinte: „Das ist Maralinga!“ Sie blätterte ein paar Seiten um und las immer mal wieder ein paar Sätze, dann meinte sie: „Hier kann man ganz viele Zauber draus lernen, die sollten wir auf jeden Fall mitnehmen.“ Wir klemmten uns die Bücher unter den Arm und verließen die „steinerne Flamme“. Draußen stellten wir fest, dass unser Skelettfreund zu Staub zerfallen war, und nur die Rüstung lag noch dort. Wir begruben ihn an Ort und Stelle, dann kehrten wir wieder ins Dorf zurück.
Am nächsten Morgen wurden wir Zeugen davon, dass Cordowan Dara einen Heiratsantrag machte. Er hatte ihr zwar keine Blumen und auch keinen Ring mitgebracht, aber es war trotzdem sehr süß. Von den Büchern wollten die Schlüsselträger nichts wissen, und so behielten wir sie. Wir machten uns dann auch recht schnell auf den Weg, obwohl Dara uns bat, bis zu ihrer Hochzeit zu bleiben. Zu viele unerfreuliche Dinge waren hier geschehen, und wir wollten lieber weiterziehen.
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