2. Brief - Naondag, 2. Trideade Nixenmond
Liebste Mutter,
mein Gefühl des Unbehagens war berechtigt gewesen. In der Nacht wurde der Leichnam Riodbarts MacSeals aus der Erzabtei entwendet. Es verstimmt mich immer noch, dass ich nicht besser auf meine Intuition gehört habe.
Am Morgen erfuhren wir davon, doch ihn und seine Entführer wiederzufinden war eine schier unmögliche Aufgabe und so verließen wir niedergeschlagen Muranmuir, um uns auf den Weg nach Crossing zu machen und dort Curathan abzusetzen. Der Abt war so freundlich gewesen und hatte uns nach den Strapazen unserer Reise ein paar Tage Unterkunft im Gasthaus „Zum tanzenden Ordensritter“ in Crossing gewährt.
Schon auf dem Weg dorthin fühlte ich mich nicht wohl. Meine Periode stand bevor und die ganze Anspannung der Reise, mein Fehler und der Groll der anderen lasteten auf mir. In Crossing verabschiedete ich mich noch von Curathan und war dann froh um ein Bett in einem Einzelzimmer in der Taverne. Ich hatte auch noch ein anderes Problem, was mir etwas Sorgen bereitete. Mein Gold neigte sich dem Ende, so dass mir nicht mal mehr das Geld für drei Tage leben gereicht hätte.
Während ich erschöpft und unwohl die Tage im Bett verbrachte, trafen Gray, Mira und Bruna auf Guomondur, der Meister des Eismagiers. Er hatte Fuardain, ein Land im hohen Norden verlassen um einem Freund einen Gefallen zu erweisen. Dieser Freund, Henry, war auf einer Expedition mit einem gewissen Zordan unterwegs gewesen und dort hatten sie eine Maske gefunden. Henry hatte um Guomondurs Hilfe gebeten, doch war er in Crossing nicht aufgetaucht.
Zusammen mit dem Meister suchten sie Zordan auf. Dieser jedoch erklärte, dass Henry an einem Schlangenbiss auf der Expedition gestorben war und er noch nie etwas von so einer Maske gehört habe. Guomondur und Zordan gerieten in einen Streit, doch konnten die anderen eingreifen und brachten den Meister fort.
Am nächsten Morgen wurden wir von schweren Schritten und Rufen geweckt. Grays Meister war von der Stadtwache verhaftet worden und wurde des Mordes an Zordan angeklagt. Dieser war am Morgen tot aufgefunden worden, gezeichnet von brutalen Schlägen. Selbst sein Gesicht war kaum noch erkennbar gewesen. Die anderen sowie Muktar, ein Mann aus dem südlichen Eschar und Diener des Toten, wurden verhört. Sie versuchten die Situation aufzuklären, doch der Streit der beiden, die Aussage des Nachbarn, er hätte in der Nacht eine kleine Gestalt am Haus gesehen und die Tatsache, dass Guomondur kein Albai war, überzeugten die Stadtwachen von der Schuld des Meisters. Auch die letzte Hoffnung, der Brief von Henry an Guomondur wurde uns genommen, denn er war in der Zwischenzeit entwendet worden.
Am nächsten Tag ging es mir schon besser und ich schloss mich den anderen an, bei dem Versuch die Unschuld des Meisters zu beweisen. Ich erkundigte mich im Gildenhaus der Lichtsucher nach dem Dienst eines Sorellor, der mit dem Zauber Seelenkompass eine Person wiederfinden sollte, denn Mira hatte nach der Entwendung des Briefes ein paar Haare im Zimmer gefunden. Doch der Preis ließ uns etwas zögern. Gray war währenddessen Muktar in das Armenviertel gefolgt, hatte ihn jedoch verloren und stand vor fünf zwielichtigen Männern. Er konnte sie überzeugen für ihn zu arbeiten. Eine Stunde vor Sonnenaufgang sollten wir Nelson, einer der Männer, auf dem „Drogenplatz“ treffen. Ich ließ den Wirt mich wecken und klopfte dann bei den anderen an. Dabei wurde ich wieder einmal von der Sonderlichkeit Grays überrascht, als er mir splitternackt die Tür aufmachte. Nun, er ist kein hässlicher Mann, aber er könnte sich im Allgemeinen mehr bekleiden. Er hat eine seltsame Angewohnheit sich seiner Kleider immer wieder zu entledigen.
Gemeinsam brachen wir auf. Dass ich im Leben an solche Orte gelangen würde…Vergeblich versuchte ich Mira davon abzuhalten, von einem Mann etwas von den Drogen anzunehmen. Nelson gab uns die Information, dass sich Muktar in letzter Zeit oft im Armenviertel herumgetrieben und sich nach der Kanalisation erkundigt hatte. Vielleicht wollte er etwas verstecken oder ungesehen aus der Stadt entkommen, so wie Bruna und Mira das geplant hatten, sollten wir nicht die Unschuld des Meisters beweisen können und ihn befreien müssen. Ein Unterfangen von dem ich nicht viel hielt, doch dies behielt ich für mich.
Mira, die, wie ich aus Gesprächen herausgehört hatte, schon einmal versucht hatte in das Haus Zordans einzubrechen, wollte sich das Gebäude noch einmal genauer betrachten, in der Hoffnung etwas zu finden, was uns weiterhelfen würde. Nicht ganz begeistert von dem Plan, bot ich jedoch meine Hilfe an. Ich würde vor dem Haus warten und sie warnen, sollte Muktar wiederkommen.
Oh Mutter, manchmal erscheinen mir die Wege des Lebens sonderbar, gar befremdlich. Bei diesem Versuch tat ich Dinge, die ich nicht tun wollte, doch war ich unfähig in der jeweils gegeben Situation einen anderen Weg zu sehen. So ging ich ihn mit Zögern und Widerwillen, doch ich ging ihn.
Als ich dort auf der Straße wartete, kam Bruna und zusammen planten wir unser Handeln sollte der Diener auftauchen. Ich hoffte, dass dadurch ihr Zorn auf mich etwas gemildert würde. Bald darauf kam Muktar die Straße entlang. Bruna fing an mich zu beschimpfen. Als er nah genug war, schubste sie mich vor seine Füße. Ich rief um Hilfe, stand auf und klammerte mich an den großen, dunkelhäutigen Mann.
Ja Mutter, ich nutzte die Schönheit meines Körpers. Und dabei kamen mir deine Worte in den Sinn, die ich damals bestritten hatte. „Glaube mir, mein Kind, eines Tages wirst du davon Gebrauch machen und es genießen.“ Und du hattest recht, auch wenn ich es in keinster Weise genossen habe, mein einziges Ziel war es Mira helfen. Doch trotz meines Versuchs, gelang es mir nicht, ihn länger als ein paar Augenblicke aufzuhalten. Das, was er zu erledigen hatte, schien sehr wichtig zu sein. Panisch lief ich um das Haus und schrie laut Miras Namen. Kurz darauf sah ich eine kleine Gestalt aus dem Fenster klettern. Doch der Nachbar hatte sie gesehen und fing an zu rufen. Schnell lenkte ich ihn mit Hilfe der arkanen Kunst für einen Moment ab, so dass Mira entkommen konnte. Erleichtert zog ich mich zurück und begab mich ins Gasthaus.
Dort besprachen wir unser weiteres Vorgehen. Am Abend würde Mira noch einmal in das Haus gehen und ich sollte die Ablenkung für Muktar sein. Du kannst dir vorstellen, dass ich nicht glücklich über die Entwicklung der Dinge war, doch ich hatte das Gefühl in der Schuld der anderen zu stehen. Und wenn ich auf diese Weise behilflich sein könnte, würde ich auch etwas tun, was ich ungern tue. Ich nahm eines der Färbersalze, schütte es auf mein Haar und verließ mein Zimmer, um mir in der Stadt die Haare färben zu lassen. Ich hatte etwas Geld von dem Eismagier bekommen, doch reichte dies nicht aus, so dass ich noch einmal zurückkehrte. Gray gab mir das Geld sofort und verwundert nahm ich es an. Erst später bemerkte ich, dass es an den Haaren, die ich das erste Mal offen trug und die jetzt eine Farbe von dunklem Braun hatten, gelegen hatte. Es ist gut, dass ich sie sonst unter dem Tuch versteckt habe.
Ich beeilte mich, denn das Salz hielt nur eine Stunde und ließ mir meine Haare ebenfalls in einem dunklen Braunton färben. So machte ich mich am Nachmittag zu Zordans Haus auf um Muktar als „Dank“ zum Abendessen einzuladen. Doch wieder schlug er meine Einladung ab, worüber ich auch ein wenig froh war, denn das Verführen der Männer liegt mir nicht so sehr wie dir Mutter. Und da kam mir eine Lüge über die Lippen. Ich war erschüttert, wie leicht dies geschehen war. Ich hoffe, dass mir dies vergeben wird. Ich behauptete, ich würde morgen die Stadt verlassen und es wäre die letzte Gelegenheit mich zu bedanken. Doch der Termin, den er hatte, schien äußert wichtig, so dass er meinte, er käme danach, wenn es nicht zu spät werden würde, zu meinem Gasthaus. Ich kehrte dorthin zurück und berichtete den anderen davon. Während sich Bruna und Mira in Richtung Zordans Haus aufmachten, nahm ich mit Gray eine Kleinigkeit zu mir. Dabei starrte er mich unentwegt an. Später ließ er mich alleine und noch etwas später tauchten Bruna und Mira wieder auf. Von Muktar war keine Spur.
Der Halbling hatte nichts Bedeutendes gefunden, außer dem Testament Zordans. Etwas ratlos saßen wir oben in Grays Zimmer, als Nelson uns aufsuchte. Er erzählte uns, dass er Muktar hatte beschatten lassen und dass dieser sich zusammen mit einem Mann, dessen Beschreibung auf die von Zordan passte, mit einem dritten in der Kanalisation getroffen und etwas ausgetauscht hatte. Wir vermutenden, dass es sich dabei um die Maske handelte.
Eilig machten wir uns fertig und folgten Nelson ins Armenviertel. Dort suchte er einen kleinen Jungen auf, der uns den Ausgang der Kanalisation zeigen sollte. Es war bereits seit einiger Zeit dunkel und die Stadttore verschlossen, so dass es die einzige Möglichkeit war aus der Stadt herauszukommen. Die Vorstellung durch die Kanalisation, die auch noch Territorium der Diebesgilde von Crossing war, zu laufen, glich einem Alptraum. Doch ich zwang mich den anderen zu folgen. Dort unten konzentrierte ich mich auf ein Lied, dass ich immer wieder in meinem Kopf sang, um mich von dem Gestank, der dort unten herrschte, abzulenken. Wir waren angewiesen worden, nicht zu sprechen und dem Jungen zu folgen, solange er uns nichts anderes befahl. Wir hatten wenig Glück, nach kurzer Zeit wurden wir von fünf Kreaturen angegriffen. Trotz Grays Heldenmut, er hatte sich schützend vor mich gestellt um einen Angriff abzuwehren, kostete mich dieser Kampf einiges an Kraft und Blut. Doch Schließlich flüchteten die verbliebenen Wesen und wir wurden für den Rest unseres Weges in Ruhe gelassen.
Am Ausgang angekommen, mussten wir an zwei Wachen vorbei, danach verließ uns der Junge Jimmy und wir stiegen nach oben. Draußen entdeckte Mira sofort zwei Spuren von Männern. Irgendein Gefühl hatte mir gesagt, dass Zordan noch nicht den Tod gefunden hatte, doch aufgrund von mangelnden Hinweisen hatte ich nichts gesagt. Wir folgten den Spuren und ich versuchte mich mit dem Wasser aus meinem Wasserschlauch sauber zu machen. Gray gab mir auch noch seinen, doch es gelang mir nicht mehr, als mich nass zu machen. Nun nicht nur zitternd vor Ekel, sondern auch noch vor Kälte, folgte ich den anderen.
Zu meiner Erleichterung entdeckten wir bald ein Lagerfeuer, an das wir uns heranschlichen. Jedoch hatte man uns gehört, denn Zordan und Muktar erwarteten uns mit gezückten Waffen. Der Kampf dauerte nur wenige Augenblicke. Zuvor hatte ich die Pferde befreit, damit sie uns nicht entkommen würde. Bruna brach Muktar das Bein, worauf dieser ihr einen Hieb mit seinem großen Krummsäbel gab. Sie brach zusammen und stand nicht wieder auf. Als er zu einem weiteren Schlag ausholte, warf ich mich auf Bruna und ein heftiger Schmerz durchfuhr mich, kurz wurde mir schwarz vor Augen, doch ich blieb bei Sinnen. Muktar überlebte diesen Kampf nicht, und Zordan lag bewusstlos auf dem Boden. Gray nahm ihn auf seine Schultern und ich stütze Bruna, die kaum mehr laufen konnte. Ihr Leben gerettet zu haben war den Schmerz wert. Ich dankte, dass mir diese Möglichkeit gegeben wurde, meinen Fehler zu begleichen.
Völlig erschöpft, verwundet, stinkend und dreckig kamen wir an die Stadttore von Crossing, die noch verschlossen waren. Jedoch wurden wir hindurch gelassen, nachdem wir erzählt hatten, was uns widerfahren war. Wir lieferten Zordan der Stadtwache aus und begaben uns zusammen mit Guomondur, der freigelassen wurde, zurück ins Gasthaus. Dort fragte ich den Wirt sofort nach einer Schüssel Wasser, zog mich zurück und versuchte den Dreck, das Blut und den schwindelerregenden Gestank loszuwerden. Danach legte ich mich erschöpft ins Bett.
Mein Geldproblem hat sich gelöst, denn Mira hatte Zordan das Geld, welches er wahrscheinlich für die Maske bekommen hatte, abgenommen und unter uns aufgeteilt. Ich wollte bei Gray meine Schuld begleichen, doch dieser winkte nur ab. Nach diesen Erlebnissen haben sich meine Zweifel zerstreut und mein Beschluss bei Gray, Mira und Bruna zu bleiben bestärkt. Ich hoffe dass sich der Groll der Zwergin gelegt hat und wieder Harmonie in der Gruppe herrscht. Ich bin gespannt, wo mich die weitere Reise mit dieser seltsamen, aber irgendwie auch liebenswerten Gruppe hinführt. Ich hoffe ich werde bald etwas Zeit haben um meine Fähigkeiten zu verbessern, ich komme mir noch so nutzlos vor.
So wie es aussieht ist unser nächstes Ziel das Halfdal, Heimat der Halblinge. Wenn wir dort oben im Gebirge sind, könnte ich Vater besuchen. Was meinst du? Vielleicht hat er mich auch vergessen, es ist schon ein paar Jahre her, seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Obwohl er mein Vater ist, ist er mir das wahrscheinlich größte Rätsel auf ganz Midgard.
Letzte Nacht hat uns Gray aufgeweckt. Er erschien sehr aufgewühlt, fast schon panisch. Er erzählte uns von seinem Traum, in dem ein Schatten über das Halfdal gekommen war, und alle Pflanzen verdorrt waren. Da erwachte ein Drache und bekämpfte das Dunkle. Mira erzählte uns, dass es sich bei diesem Drachen um Schmauch, wie ihn die Halblinge nennen, handelt. Sein richtiger Name ist Yonvalker Ashan und wird bei ihnen als Gott verehrt. So lange er schläft, ist das Halfdal fruchtbar. Mit seinem Schlaf scheint er der Heimat der Halblinge also einen großen Gefallen zu tun, folglich wäre es schlecht, wenn er aufwachen würde. Mir erscheint Grays Traum eher wie eine Version. Aber was ist das Dunkle, welches das Halfdal bedroht? Und was hat es mit dem Drachen, der gegen diesen Schatten kämpft, jedoch besser weiterschlafen sollte, auf sich?
Der Drache alleine wäre Grund genug für mich gewesen ins Halfdal zu reisen, aber wenn wir dabei auch noch gegen dunkle Wesen oder Magie vorgehen, und damit der Drache nicht in seinem Schlaf gestört und die Fruchtbarkeit des Halfdals bewahrt wird, dann gibt es keinen Zweifel mehr, ich werde den anderen in Miras Heimat folgen. Nun werde ich mich jedoch erst einmal zum Frühstück begeben. Ich versuche dir sobald wie möglich wieder zu schreiben.
In Liebe
Enya
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