13. Brief - Daradag, 1. Trideade Trollmond
Liebste Mutter,
er ist zurückkommen. Mein Schlaf war unruhig und früh stand ich auf, um draußen auf Dylan und Bruna zu warten. Endlich sah ich zwei Gestalten auf die Hütte zu kommen. Mein Ärger war verflogen und Erleichtert fiel ich Dylan um den Hals, doch da bemerkte ich, dass etwas geschehen war. Trauer verzerrte die Gesichter der beiden und sie berichteten uns von Hiladis Tod. Sie war von Bissen auseinandergerissen worden, das blutgetränkte Zelt musste ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Sofort wussten wir wann und wie sie gestorben war. Sie hatte durch den Tod Woldrens mit dem Leben büßen müssen. Und wer war dafür verantwortlich? Wir. Wir, die sie eigentlich hätten beschützen sollen, hatten ihr den Tod gebracht. Nun blieb uns nur eines, wenigsten den Geist Joyfrids zu erlösen und den Dorfbewohnern ihr Leben zurück zu geben. Vor dem Geist, der wieder Dylans Stimme übernahm, rammte sich Gray, bevor ich etwas dagegen tun konnte, den Dolch in seinen ohnehin schon verwundeten Leib, worauf hin der Geist der Priesterin mit den Worten „Endlich bin ich erlöst“ verschwand. Trauernd und schweigend liefen wir zurück zum Dorf. Die Veränderung war augenblicklich spürbar. Wir erzählten den Dorfbewohnern die Geschichte und bereiteten die Beerdigung Hiladis vor. Gray bestand darauf, das Grab alleine auszuheben und wir respektierten seinen Wunsch. War er doch derjenige gewesen, der Woldren dem Schlammteufel entgegen geworfen hatte. Doch die Schuld traf ihn nicht allein. Hätte ich nicht dem Mann den Knebel abgenommen, hätte er das Tier nicht rufen können. Hätten wir uns dem Tier, trotz der Gefahr für unser Leben, entgegen gestellt, dann wäre die Priesterin noch am Leben. Wie hatte ich nur so egoistisch denken können? Nicht einen Moment hatte ich bedacht, dass auch Woldren unter dem Bann Joyfrids stand und damit Hiladis all seine Wunden und Schmerzen auf sich nahm. Groß war die Trauer und die Reue als wir das blutgetränkte Zelt mit dem Körper der Priesterin in das Loch hinab ließen und es mit Erde bedeckten. Ich kniete mich vor das Grab und betete zu den Göttern. Doch Zweifel und Unglaube nagten an mir. Warum hatte gerade Vana, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens, dieser Frau eine solche Prüfung gestellt? Hätte eine Vision nicht ausgereicht? Warum musste eine Frau die Schmerzen so vieler Menschen auf sich nehmen? Warum hatte die Göttin Joyfrid nicht von Anfang an aufgehalten? Warum hatte Vana dieses Werk so lange gebilligt, hatte sich nicht vorhersehen können, was die Priesterin mit ihrem Tun anrichten würde? Fragen auf die ich wohl nie eine Antwort bekommen würde. Die Wege der Götter sind unergründlich, doch nach diesen Ereignissen scheinen sie mir noch fremder.
Ich denke wir werden diesen Ort bald verlassen und zu Aelfrod MacBeorn zurückkehren, um ihm die schreckliche Nachricht zu überbringen. Wenn ich nur etwas tun könnte, doch nichts wird seine Schwester zurück in Leben bringen. Das Gefühl des Versagens könnte kaum größer sein.
Doch nicht nur die Frau, die wir hätten beschützen sollen fand den Tod. Ich hätte beinahe zwei mir wichtige Menschen verloren. Ich fühle mich schrecklich. Bestürzt, schwach, nutzlos, verloren. Dass mich etwas in dieser Welt so tief erschüttert… Dieses Gefühl war mir unbekannt, diese Angst, ich hatte sie noch nie verspürt. Ich muss stärker werden. Stärker, damit ich an ihrer Seite sein kann. Stärker um sie vor dem Tod zu bewahren. Stärker um mich selbst zu schützen, damit sie es nicht tun müssen. Vater hat gesagt, er reißt sie in Stücke, sollte sie mich nicht beschützen. Doch wenn sie dabei ihr Leben verlieren, dann möchte ich ihren Schutz nicht, denn innerlich würde es mich in Stücke reißen. Das Nächste Mal werden sie mich mit Gewalt zurückhalten müssen. Nie wieder möchte ich zurück gelassen werden!
Ich mache mir Sorgen um Gray. Er war so still, was er wohl denkt? Nimmt er alle Schuld auf sich? Wie kann ich ihm helfen, diese Last zu tragen? Ich habe ein ungutes Gefühl, ich werde in den nächsten Tagen ein Auge auf ihn haben.
Die Geschehnisse der letzten Tage haben mir bewusst gemacht, was mir die Menschen um mich herum wirklich bedeuten. Obwohl ich Gray kaum kenne und wenig über ihn weiß, fühle ich eine tiefe Verbundenheit zu ihm. Auch wenn er seine Schattenseiten hat und wir uns in manchem grundlegend unterscheiden, ändert es nichts an meinem Vertrauen und meiner Zuneigung ihm gegenüber. Ich würde ihm ohne zu Zögern mein Leben anvertrauen.
Neben dem Schrecken und der Trauer, findet immer noch Verärgerung Raum in mir. Mich würde der Barde nie alleine gehen lassen, aber ich musste zuschauen wie er im Moor verschwand, ohne die Gewissheit, dass ich ihn wiedersehen würde. Oh Mutter, was wäre geschehen, hätte er den Tod gefunden? Trotz aller Vorsätze, jeglicher Vernunft wurde meine Zuneigung zu Dylan immer größer. Ohne dass ich es gewünscht oder bemerkt hatte, wurde aus Zuneigung Liebe. Ertrage ich es, wenn er mich verlässt oder schicke ich ihn lieber fort, um diese Trauer nicht erleben zu müssen? Was für eine unsinnige Frage. Natürlich möchte ich, dass er an meiner Seite bleibt. Ich werde den Tod als Bestandteil des Lebens akzeptieren müssen und mich jeden Tag freuen, den ich gemeinsam mit den mir lieben Menschen erlebe.
Ich habe ein Gedicht geschrieben, vielleicht finde ich dazu noch eine Melodie. Ich werde es zu meinem Brief legen. Ich warte sehnlich auf deine Antwort.
In Liebe
Enya
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