14. Brief - Oachdag, 1. Trideade Trollmond
Liebste Mutter,
ich befinde mich wieder in Twineward, doch wir werden nur eine Nacht hier verweilen. Morgen setzten wir unsere Reise nach Thame fort.
Vier Tage blieben wir in Gileburne, um Hiladis Tod zu betrauern und um wieder zu Kräften zu kommen. Am Sedag brachen wir auf und verließen den Ort des Schreckens. Nach zwei Tagen ereignisloser Reise kamen wir schließlich in Kildandun an. Zugleich fragten wir bei der Wache nach Aelfrod, der uns kurz darauf erwartungsvoll entgegen trat. Wie groß muss der Schmerz über den Verlust seiner Schwester gewesen sein. Seine Schwester, die einzige, die ihm von seiner Familie geblieben war. Er dankte uns und meinte, dass wir sicherlich alles getan hätten um sie zu beschützen. Wie Schwerthiebe waren seine Worte und in meinen Ohren wurden sie zu Hohn. Ich wäre am liebsten vor ihm auf den Boden zusammengesunken, so schwer wogen Reue und Schuld. Als Aelfrod sich ein Stück entfernte, bat Gray mich, seinen Stab zu nehmen. Verwirrt blickte ich ihn an, dann begann ich zu ahnen was er vorhatte. Etwas in mir schrie vor Entsetzen auf und wollte ihn zurückhalten, doch ich unterdrückte es, schließlich war es seine Entscheidung. Darüber hinaus war ich mir noch nicht einmal über seine Absicht sicher. Er folgte Aelfrod und wechselte ein paar Worte mit ihm. Nach kurzer Zeit zog Aelfrod sein Schwert, Gray kniete sich vor ihm nieder und bot ihm seinen Nacken dar. Da wand sich das Etwas in mir und entkam meinem Griff. Mit grauenvollen Bildern vor Augen, stürzte ich mit einem Schrei zu Gray. Die anderen folgten mir. Aelfrod, stand mit erhobenem Schwert vor Gray und Tränen rannen über sein vor Wut und Schmerz verzerrtes Gesicht. Iros und Mira rangen ihn zu Boden, worauf hin er schrie: „Glaubt ihr wirklich ich würde einen Unschuldigen…“ Nachdem sie von ihm abgelassen hatten, bat er endlich zu erfahren, wie es zu dem Tod seiner Schwester gekommen ist. Ich erzählte ihm die Geschichte und teilte ihm mit, dass Hiladis Auftrag, den sie von der Göttin Vana erhalten hatte, erfüllt worden war. Nachdem ich geendet hatte, zog Gray einen Dolch, schnitt sich damit, ließ einige Tropfen Blut in ein Döschen fließen und übergab es Aelfrod, mit den Worten: „ Falls Ihr es Euch doch noch eines Tages anders überlegt. Damit werdet ihr mich finden.“ Schweigend kehrten wir in den Vielfraß ein. Als wir am Tisch saßen, ergriff Iros das Wort und äußerte sich ziemlich verärgert über Grays Handeln. Gray entgegnete ihm, dass Hiladis Bruder das Recht Rache zu nehmen gehabt hätte. Bruna stimmte ihm zu, es sei eine Frage der Ehre. Iros hielt dies alles für Schwachsinn und sprach von Vertrauen in der Gruppe. Mir war nicht klar, was Vertrauen damit zu tun hatte. Dylan stellte sich jedoch auf seine Seite und meinte die Schuld, die sich Gray aufladen würde, wäre zu schwer. Er erinnerte ihn an das Versprechen, welches er meinem Vater gegeben hatte.
Gerade als Iros aufstehen wollte, trat eine uns bekannte Gestalt an den Tisch. Es war niemand anderes als Meister Cleobolus. Er war mit seinem neuen Wagenlenker, ein Mann namens Lakon, ebenfalls auf dem Weg nach Thame und wir beschlossen am nächsten Morgen gemeinsam aufzubrechen. Eine Weile saßen wir noch am Tisch und tauschten ein paar Worte über vergangene Zeiten aus. Noch war es nicht lange her, und doch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. So viel war inzwischen geschehen. Auf Bitten der Dorfbewohner, die Dylan erkannt hatten, stimme er gemeinsam mit Gray und mir eine traurige Ballade über Hiladis tragischen Tod an.
Am Morgen des Seachdag brachen wir trotz Neuschnee in Richtung Twineward auf. Am Abend bauten wir unser Lager auf. Dylan beanspruchte im Scherz Iros Zelt, damit er und ich die Nacht alleine verbringen könnten. Iros flüsterte ihm etwas in Ohr und zu meinem Erstaunen schüttelten sie Hände. Mira, die es sich schon in dem Zelt gemütlich gemacht hatte, konnte es nicht fassen, als Iros von ihr verlangte, das Zelt zu verlassen. Ich werde aus diesem Mann nicht schlau, seine Taten sind so schwer einzuschätzen. Ich weiß nie, was er als nächsten vorhat, geschweige denn was er sich dabei denkt. Mit einem Kopfschütteln trat ich mit Gray die erste Nachtwache an. Iros verlangte mit Dylan die zweite und dritte zu übernehmen. Was genau er damit bezweckte, war mir schleierhaft. Ich wusste nur, dass Dylan mit mir alleine sein wollte. Männer…
Meine Gedanken dagegen waren mit anderen Dingen beschäftigt. Als die anderen zu Bett gegangen waren, saßen Gray und ich eine Weile schweigend am Feuer. Dann begann ich. Ich sprach über das schreckliche Gefühl in dem Moment, in dem ich dachte ich würde ihn verlieren. Über die Zuneigung, die ich zu ihm empfinde und welche größer ist, als ich es jemals für möglich gehalten habe. Er widersprach mir, als ich sagte, dass er nicht alleine die Schuld trägt. Ich meinte, wenn er keine Achtung vor dem Leben hat, könnte ich daran nichts ändern, doch sollte ihm bewusst sein, dass es Menschen gibt, die ihn schätzen und über seinen Tod trauern würden. Ich fragte ihn, ob der Tod nicht vielmehr eine Flucht vor der Schuld sei. Die einfachere Lösung, anstatt mit der Reue weiterzuleben. Wir hatten alle für unsere Taten Verantwortung zu tragen und sollten wie nicht eher versuchen, sie in unserem Leben wieder gutzumachen? Er stimmte mir zu, jedoch meinte er, dass es keine Flucht gewesen sei. Aelfrod hätte das Recht gehabt zu nehmen, was ihm genommen wurde. Zorn regte sich in mir und ich erhob meine Stimme. Grays Tod hätte Hiladis nicht zurückgebracht. Stattdessen hätte er nur Aelfrod mit Schuld beladen, ihn als Mörder zurückgelassen. Gray gab zu, dass er nicht über die Konsequenzen seiner Entscheidung nachgedacht hatte und sprach auch seinerseits über die Zuneigung zu mir. Er hätte das Versprechen an Vater nicht gegeben, wenn er nicht so fühlen würde wie ich. Mit dem Gefühl von Wärme, Verbundenheit und dem Gefühl, ihn beschützen zu müssen, umarmte ich Gray. Nachdem wir den Rest der Wache schweigend verbracht hatten, weckten wir Iros und Dylan. Als ich gerade dabei war einzuschlafen, huschte eine Gestalt zu mir ins Zelt. Kurz darauf spürte ich Dylans Arme, die mich an ihn zogen. Meine Verwirrung schwand in wenigen Augenblicken und ich war froh für einige Zeit die Geschehnisse der vergangenen Tage vergessen zu können. Im Halbschlaf merkte ich noch, wie er das Zelt wieder verließ, doch im nächsten Moment war ich schon eingeschlafen.
Am Nachmittag des Oachdag kamen wir an die Stadttore Twinewards. Nach einigen Schwierigkeiten mit den Wachen bezüglich des Zolls (dank Iros), entschieden wir uns ins Chet Halbytla zu gehen. Wie sehr freuten wir uns auf das köstliche Essen und die Gastfreundschaft der Halblinge. Im Hort der Gemütlichkeit angekommen und gespeist, brachen wir zum Badehaus auf. Da meinte Dylan, er hätte eine Idee, nahm meine Hand und führte uns hinaus, in vertraute Gassen. Als wir an dem mit Hütchen spielenden Gnom vorbeikamen, wusste ich mit Sicherheit, was sein Ziel war. Eine Mischung aus Beschämung, Belustigung, Freude und Glück stieg in mir auf. Schließlich kamen wir an den Marktplatz, an dem Dylan, Gray und ich uns das erste Mal getroffen hatten. Kaum eine Handvoll Monde sind seitdem vergangen, und doch scheint es so lange her. Dylan stellte sich auf die Bühne und die Menge begann zu raunen. Er kündigte ein Liebeslied an, welcher er für „diese schöne Frau“ singen würde. Damit stimmte er ein mir wohlbekanntes Lied an. Zuvor hatte Gray es sich nicht nehmen lassen, während der Barde sprach, seine Laute mit Hilfe von Magie von Dylans Rücken in seine Hände schweben zu lassen. Für einen Moment trat Schrecken in Dylans Augen, doch dann zwinkerte er Gray zu und lachte, so wie auch ich lachen musste. Gray stimmte mit seiner Okarina in Dylans Spiel ein. Als ich dort stand wurde ich von Liebe, Glück und Freude überwältigt. Gerührt und glücklich betrachtete ich die beiden und lauschte ihrer Musik. Mira ließ einen Hut rumgehen (wie immer) und gab das Geld anschließend an Gray. Zu Dylan gewandt meinte sie, er bräuchte es nicht, denn er habe ja bereits seinen größten Schatz gefunden. Verschmitzt lächelte er mich an und meinte, dass sie recht habe. Ich frage mich, wie viel davon ehrliches Gefühl und wie viel Aufschneiderei ist. Mutter, werde ich mir ihm jemals sicher sein können? Manchmal fühle ich mich ihm so nah, manchmal habe ich das Gefühl zwischen uns liegen Welten. Werde ich ihn gehen lassen können, wenn er sich entscheidet mich zu verlassen?
Schließlich begaben wir uns ins Badehaus. Ich genoss gerade das wohltuende Bad und die Ruhe, als ich durch die Vorhänge Dylans Aufschrei hörte. Kurz darauf waren weitere Rufe und das Platschen und Spitzen von Wasser zu hören. Auf einmal übergoss mich ein Schwall kaltes Wasser und ich schrie erschrocken auf. Daraufhin kam Mira zu mir gerannt und fragte, was los sei. Panisch tauchte ich unter und drückte meinen Arm gegen den Rand des Zubers. Ich hoffte inständig, dass ihr in dem schwachen Licht und aufgrund der nassen Haare nichts auffallen würde. Ich hatte sie schon viel zu lange nicht mehr nachgefärbt. Endlich hatte ich etwas Ruhe und Zeit nur für mich und dann passierte so etwas. Ich schrie, dass alle raus und mich alleine lassen sollten, worauf hin Mira wieder zurück lief. Kurz darauf hörte ich die wutentbrannte Stimme des Badehausbesitzers und kurzer Hand wurden Gray und Iros hinausgeschmissen. Nach kurzem Überlegen, pfiff ich und einen Moment später erschien Dylan lächeln hinter dem Vorhang…
Ich war froh, diesmal den Weg nicht alleine zurück durch die dunklen Gassen gehen zu müssen. Als wir uns alle wieder im Hort der Gemütlichkeit versammelt hatten, besprachen wir noch einmal das Ziel unserer Reise. Gray teilte uns mit, er wolle in Thame der Magiergilde beitreten. Bruna schien davon wenig begeistert, denn sie wollte dort nicht lange verweilen und erst recht nicht ihre Familie besuchen. Weder Mira noch Bruna scheinen auf ihre Verwandtschaft besonders gut zu sprechen sein, ich frage mich wie es wohl dazu gekommen ist. Vielleicht werde ich es eines Tages erfahren. Noch weiß ich so wenig über meine Reisegefährten. Selbst mein lieber Barde hat noch viele Geheimnisse. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie alle erfahren möchte. Ich habe dir noch gar nicht viel über ihn erzählt. So fröhlich und unbeschwert wie man ihn erlebt, würde man nicht denken, dass seine Kindheit alles andere als glücklich war. Er verlor mit vier Jahren seine Familie und der alte Barde des Dorfes nahm sich ihm an. Doch er nutze Dylans Talent aus und bezahlte damit seinen Alkohol. Als Dank dafür bekam der Junge die Fäuste seines betrunkenen Meisters zu spüren. Einige Jahre später, nach dem Tod seines Lehrers, zog er alleine durch Alba. Sein Wunsch ist es, eines Tages in die Bardenschule nach Erainn zu gehen. Wie gerne würde ich ihn dorthin begleiten. Ein Ort voller Musik, ich kann mir wenig Schöneres vorstellen. Wenn mich nicht andere Aufgaben riefen, dann…
Hier im Hort der Gemütlichkeit scheinen die Ereignisse der letzten Tage schon nicht mehr so schrecklich. Langsam verebben die schmerzhaften Erinnerungen und quälenden Gefühle und wir können wieder lachen, wenn auch vielleicht noch nicht aus vollem Herzen. Ich bin erleichtert, dass meine Begleiter immer noch an meiner Seite sind. Ich schaue der Reise nach Thame mit Freude entgegen. Es gibt einiges, was ich in der Stadt tun möchte. Doch erst einmal muss etwas gegen mein immer wiederkehrendes Problem geschehen. Bis auf eine Goldmünze, eine Handvoll Syring und Penning, besitze ich nichts mehr. Ein paar Nächte werde ich mir noch leisten können, dann weiß ich nicht was ich tun soll. Ich frage mich ob ich zu viel ausgebe? Ich muss dagegen etwas tun, ich möchte den anderen nicht zur Last fallen, erst recht nicht mit Geldsorgen.
Nach der Geschichte mit dem Thursen, der wie sich herausstellte nur ein Troll war und der Reise im Winter, sollte ich schnellstmöglich ein Zauber lernen, der mich vor Kälte schützt. Ich wäre die erste, die im Kampf gegen ein Eiswesen fallen würde. Die Magie, Dinge mit unsichtbarer Hand zu bewegen, die Gray schon einige Male angewandt hat, erscheint mir auch recht nützlich. Oh, es gibt noch so viel was ich zu lernen habe.
Mutter, ich danke dir für deine Antwort. Ich weiß deine Worte sehr zu schätzen. Bisher war jedoch noch nicht die passende Gelegenheit mich meinen Gefährten anzuvertrauen. Fühle dich umarmt. Vielleicht kann ich die anderen doch noch überzeugen von Thame aus weiter nach Fiorinde zu reisen. Ich möchte dich wiedersehen und vor allem möchte ich dir meine Begleiter vorstellen!
In Liebe
Enya
0 Kommentare
Empfohlene Kommentare
Keine Kommentare vorhanden