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Enyas Briefe

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15. Brief - Triudag, 2. Trideade Trollmond


Die Hexe

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Liebste Mutter,

endlich sind wir in Thame angekommen. Es hat länger gedauert, als wir erwartet hatten und die Reise war weitaus schlimmer, als ich es mir jemals ausgemalt hätte.

Am Morgen des Aonadag verließen wir Twineward gemeinsam mit Meister Cleobolus und Lakon. Die ersten zwei Tage verliefen ereignislos und das Einzige, was uns zu schaffen machte, waren Schnee und Kälte. Als Nachtlager hatte Gray uns eine Schneehütte gebaut, in der erstaunlicherweise die Kälte kaum noch zu spüren war. Über einem Feuer konnten sogar eine warme Suppe und Tee zubereitet werden. Es war der Abend des Dosandag, wie auch schon in den vergangenen Nächten teilten wir die Wachen ein.

Am Morgen, zumindest glaubte ich, dass es Morgen war, erwachte ich mit Kopfschmerzen und einem widerlichen Geschmack im Mund. Im schwachen Lichtschein konnte ich erkennen, dass ich mit den anderen, bis auf Meister Cleobolus und Lakon, in einem Art Käfig eingesperrt war. Wir hatten bis auf unsere Nachtgewänder nichts mehr an uns, lagen auf Stroh und waren von dicken Holzpfählen umgeben. Vom anderen Ende des Raumes grinsten uns zwei hässliche Gestalten an. Orcs. Kurz darauf verließen sie den Raum und gaben Mira damit die Möglichkeit, das rostige Schloss mit Hilfe eines ebenso rostigen Nagels zu öffnen. So wenig wie ich dieses Handwerk schätze, war ich doch froh, dass Mira diese Fertigkeit beherrscht. Mit vereinten Kräften überwanden wir die ersten Orcs und fanden schließlich einen Teil unserer Sachen wieder. Der Verbleib von Grays und meinem Magierstab, Dylans Schwert, weiteren Waffen und allen unseren Rucksäcken war jedoch noch ungewiss. Es kam zu einer weiteren Konfrontation. Wir hatten die Wahl uns für einen von zwei Wegen zu entscheiden. Wir wählten den falschen. Anstatt durch die Eisentür zu gehen, stießen wir auf weitere Orcs. Doch diesmal waren ihr Anführer, ein großen Wolf und ein Orcschamane unter ihnen. Meister Cleobolus hing dort an einen großen Stein gekettet, der Orcanführer stand vor ihm. Es war ein harter Kampf, den wir teilweise ohne (unsere) Waffen zu bestreiten hatten. Ich hatte den Fehler gemacht und war zu weit in den Raum gegangen, so dass ich, ehe ich mich versah, erst dem Wolf und kurzdarauf auch noch dem Orchäuptling entgegen stand. Mein Vorhaben, meinen Gegnern eine Feuerlanze entgegen zu schmettern, war damit unmöglich und nach wenigen Hieben bemächtigte sich Erschöpfung meiner Glieder. Es waren so viele Orcs. Um mich herum waren alle dabei ihr Leben zu verteidigen. Weit entfernt jedoch schien mir das Geschehen, als ich in die Augen des Wolfes blickte und in ihnen meinen Tod sah. Da kam mir Dylan zu Hilfe, doch mit seinem Dolch in der Hand hatte er diesen Ungetümen ebenfalls nichts entgegenzusetzen. Stattdessen hieb dieses Monster von einem Orc mit seinen beiden Äxten auf Dylan ein und er ging unter dem wuchtigen Hieb zu Boden. Mit einem Schrei stürzte ich mich auch ihn, um ihm mit meinem Körper zu schützen. Als die anderen sich um den Orc kümmerten, war da nur noch der Wolf. Gray schickte ihn ins Land der Träume und ich rammte ihm die Fackel ins Fell. Daraufhin schreckte er auf und ergriff die Flucht. Damit war der Kampf vorbei. Ich erkannte mir Entsetzten, dass Dylan kaum noch lebte. Gemeinsam mit Bruna kümmerte ich mich um seine Verletzungen. Gray hatte bei dem Orcschamanen Verbände, Kräuter und Salben gefunden. Da geschah etwas, das mein Herz für einen Moment still stehen ließ. Als Bruna sich an der Wunde zu schaffen machte, es sah recht grob aus, gab Dylan ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich und ich konnte fühlen, wie sein Leben schwand. Fassungslos starrte ich auf sein bleiches Gesicht. Meine Hände zitterten, als ich versuchte ihn zu retten. Doch es war vergebens, ich spürte wie er unter meinen Händen starb. Unbeschreibliches Grauen erfasste mich, um mich herum gab es nichts mehr, ich sah nur noch Dylans weißes, regungsloses Gesicht und das rote Blut an meinen Händen. Da reichte Mira mir ein kleines Fläschchen und ohne Zögern flößte ich es Dylan ein. Seine Wunden begannen sich zu schließen und er schlug seine Augen wieder auf. Tränen unsäglicher Erleichterung rannen meine Wangen herab, während ich seine Hand fest an mein Gesicht presste. Eine Sekunde länger, eine falsche Bewegung und es wäre zu spät gewesen…Die Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag. Ich wollte mich nicht von ihm lösen, nie wieder wollte ich ihn loslassen, doch auch Meister Cleobolus benötigte unsere Hilfe und so wendete ich mich schweren Herzens dem alten Mann zu. Wir erfuhren, dass der Orchäuptling auf gebrochenem Albisch ihn nach Schätzen und Geld ausgefragt hatte. Von Lakon war keine Spur.

Wir verließen den Raum, auf der Suche nach unseren noch fehlenden Besitztümern und einem Ausgang. Letzteres fanden wir nach weiteren Gängen und Räumen, doch von draußen drang Kampflärm an unsere Ohren. Einen weiteren Kampf würde keiner überleben. Mein Herz sank und einen Moment drohte Verzweiflung mich zu überwältigen, doch ich hatte etwas zu schützen und dafür würde ich bis zum letzten Atemzug kämpfen. Ich blieb mit Cleobolus und Dylan zurück, während die anderen ins Freie traten. Kurze Zeit später machten wir Bekanntschaft mit einer äußert hübschen Frau. Sie kam wie Bernardo aus den Küstenstaaten und stellte sich als Cecilia vor. Gemeinsam mit Bruna kümmerte ich mich um ihre Wunden, die sie sich im Kampf mit den Orcs zugezogen hatte. Dylan konnte natürlich nicht wiederstehen und machte ihr schöne Augen. Ich wollte nicht, dass es mir etwas ausmacht, doch dem Stich konnte ich mich nicht entziehen. Hätten wir doch nur ihre wahre Absicht erkannt, wie dumm wir waren einer dahergelaufenen Frau zu trauen, aber wie hätten wir ahnen, wie hätte ich wissen können...? Sie meinte, sie wäre im Auftrag eines reichen Händlers auf dem Weg nach Thame. Unsere Waffen und Rucksäcke fehlten immer noch. Gray entdeckte Spuren im Schnee, die uns zu einer kleinen Höhle führten, bei der die Wägen und Pferde standen. Dort befand sich auch alles andere und so setzten wir uns erst einmal, ausgehungert wie wir waren, um etwas zu uns zu nehmen.

Als die anderen aufbrachen, um noch einmal die Höhle zu untersuchen, insbesondere die Eisentür, wollte ich mit Dylan, Cleobolus und Cecilia zurückbleiben, doch Iros bestand darauf, dass ich sie begleite. Ich würde Cecilia mit, nein Dylan nicht alleine lassen, doch als auch er sagte, ich solle gehen, drehte ich mich um und lief wortlos zum Höhleneingang. Wie albern, wie töricht mich zu solch niedrigen Gefühlen hinreißen zu lassen. Wäre ich einfach meiner Intuition gefolgt und geblieben, ungeachtet aller Worte.

Wir schritten durch die Höhle ohne weitere Vorkommnisse, öffneten die Eisentür und gelangten in einen Raum, in dem wir auf die Leiche eines Zwerges stießen. Empor schwebte der Geist des Zwerges und gebot Bruna den Körper des Toten zurück ins Atrossgebirge zu bringen. Da hörten wir einen Schrei von oben. Panisch machte ich kehrt und eilte zum Ausgang, Gray folgte mir, Mira und Iros kletterten durch den Kamin, der sich im Raum befand. Draußen bot sich mir ein Anblick des Grauens. Cleobolus lag im Schnee. Dylan war an einen Baum gebunden, seine Handgelenke waren auf groteske Weise verdreht. Überall war Blut. Neben ihm im Baum steckte ein Messer, darunter ein Zettel:

„Seid gegrüßt meine teuren Gefährten, ich bin im Auftrag eures geschätzten Freundes unterwegs, um euch meine Freuden zu bringen… Erinnert Ihr euch, ihr habt ihm so ein Leid zu gefügt, dabei ist jeder wie er ist, dafür könnt ihr ihn doch nicht betrafen. Da ihr es aber getan habt, ist es nun an mir euch zu strafen, einen nach dem anderen… Er möchte, dass Ihr leidet. Mit ihm habe ich angefangen, dieser schnuckelige Barde, ist er nicht süß, wie er da so hängt. So wird es euch ergehen, nur ihr werdet nicht überleben. Er war zu schön zum Sterben. Ach ja, ganz liebe Grüße von eurem Freund Alphrik MacBeorn. Sandrina, die Jägerin.“

Sogleich kümmerten Bruna und ich uns um Dylan. Doch viel konnten wir nicht für ihn tun. Beim Anblick seiner Hände verschlug es mir den Atem. Es würde ihm unmöglich sein mit ihnen auf seiner Laute zu spielen. Die Vorstellung, was dies für ihn bedeutete, füllten meine Augen erneut mit Tränen. Cleobolus lebte zu unserer Erleichterung noch. Doch etwas bemerkten wir mit Entsetzen: Herbert fehlte. Mira war außer sich, Iros versuchte den Spuren zu folgen, doch natürlich war es aussichtslos. Die Frau war verschwunden. Wie hatte sie nur so etwas Grausames tun können? Was bewegt einen Menschen so etwas zu tun? Ich kann es nicht verstehen.

Gray, Mira und Bruna erzählten mir die Geschichte um Alphrik MacBeorn. Sie hatten ihn der Kinderschändung und des Kindesmordes überführt, doch trotz ihres Bemühens war seine Strafe nicht der Rede wert gewesen. Danach las ich den Brief mit neuen Augen und als ich die Zeilen ein weiteres Mal durchging, wurde mir speiübel. Diese Abartigkeit, die Unmenschlichkeit war mir so fremd, so zuwider. Mit Müh und Not konnte ich das gerade zu mir Genommene bei mir behalten.

Bruna, die dagegen gewesen war nach Thame, insbesondre zu den Zwergen, zu reisen, meinte, dass es nun doch notwendig sei und damit brachen wir in Richtung Thame auf. Am Nachmittag des Triudag kamen wir an den Stadttoren an. Wir erfuhren von dem Frühlingsfest, welches in wenigen Tagen stattfinden würde, doch über Sandrina konnte uns die Wache nichts sagen. Wir kamen im Staubigen Zwerg unter und Bruna, Mira und Iros machten sich auf zum Zwergenviertel.

Ich blieb bei Dylan. Keine Sekunde wollte ich ihn mehr aus den Augen lassen. Hatte ich mir nicht erst vorgenommen stärker zu werden, um die Menschen um mich herum zu schützen? Doch bevor ich die Möglichkeit dazu bekam, ging einer davon beinahe in Ylathors Reich ein. Ich finde keine Worte für das was ich empfinde. Bestürzung? Angst? Schmerz? Verzweiflung? Das Gefühl versagt zu haben? Es ist zu viel, als dass ich es erfassen könnte…

Die nächsten Tage in Thame werden uns hoffentlich etwas Ruhe bringen. Wir müssen uns nicht nur von unseren körperlichen Wunden erholen. Trotz allem bin ich froh wieder in einer Stadt zu sein. Es gibt noch so viel zu tun, bevor wir wieder weiterreisen. Nicht zuletzt die Heilung von Dylans Händen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Seine Hände, das Schlimmste was man ihm hätte antun können.

Ich frage mich wie es weitergeht. Die letzten Ereignisse haben uns gezeigt, dass wir niemand mehr trauen können. Wir wissen, dass Sandrina auf uns Jagd macht, doch ist sie die einzige? Wie können wir Alphrik MacBeorn finden und was tun wir, wenn wir ihm gegenüber stehen?

Ich kann nicht in den Schlaf finden, Mutter. Zu viele Fragen, Gedanken und Erinnerungen schwirren in meinem Kopf umher. Werden wir jemals noch einmal eine ruhige Nacht verbringen, solange wir verfolgt werden und diesen Mann nicht gefunden haben?

Immerhin meine Geldsorgen haben sich für die nächste Zeit erübrigt. Doch noch weiß ich nicht, wie viel die Heilung von Dylans Händen kostet…

 

In Liebe

Enya

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