18. Brief - Ljosdag, 2. Trideade Trollmond
Liebste Mutter,
verzeih mir, dass ich mich erst jetzt melde. Mir war die Möglichkeit nicht eher gegeben Und nun da dich mein Brief ereilt, enthält er eine dringende Bitte. Doch zuerst möchte ich dir erzählen, was mir widerfahren ist.
Während unsere betrunkenen Burschen sich im und um das Haus ihre Schlafplätze gesucht hatten, traten Mira und ich unsere Nachtwache an. Nach einiger Zeit hörte ich, wie die Eingangstür aufging und wieder zufiel. Ich verwünschte Iros, Gray und Dylan für ihre Dummheit. Hätte ich doch nur in der Stadt nach Udele gefragt, vielleicht hätte ich bemerkt, dass etwas nicht stimmte. So aber wartete ich auf ihr vermeintliches Spiegelbild und da kam es die Treppe herauf. Vor mir sah ich Udele NiRathgar, jedoch war sie in schlechtere Kleider gehüllt. Zu meiner Verwunderung rief sie: „Was hat das zu bedeuten, wo ist Udele NiRathgar?“ Doch viel Zeit über ihre Worte nachzudenken blieb mir nicht, als dunkle Silben der Macht von den Wanden widerhallten und sich Schatten aus dem Nichts erhoben. Augenblicklich senkte sich ein dunkler Nebel und verringerte das Licht meiner Fackel. Mira eilte mir zu Hilfe und so standen wir zu zweit sechs von diesen Schattenwesen gegenüber. Es ging so schnell und der erste Schatten griff mich an, so dass mir nicht einmal mehr die Möglichkeit zum Zaubern blieb. Immer noch verstört über das Geschehene, konnte ich den Angriff des Schattenkriegers nicht abwehren. Sein Schwert dran in meine Kehle, löste ein furchtbares Kratzen in meinem Hals aus und ich begann zu husten. Mit Entsetzten realisierte ich, dass mir die Schattenklinge die Luft zum Atmen nahm. Die angebliche Seele Udeles schrie auf. Lag Panik, Freude, Wahnsinn in ihrer Stimme? Ich konnte es nicht sagen. Hätte ich doch nur nach Udele gefragt, ich hätte gewusst, wem wir da gegenüber standen. Die anderen zwei Schatten drangen mit ihren Schwertern ebenfalls in meine Kehle und kurz darauf verließ mich jegliche Kraft. Keuchend versuchte ich noch, sie von mir weg zu drängen, doch ich war nicht im Stande irgendetwas auszurichten. Kaum hatte der Kampf begonnen, war ich bereits machtlos. Irgendwann mussten Iros und Gray gekommen sein, denn ich sah Iros, wie er mit seinen Speer zu stach und die Frau daraufhin unter Schmerzen aufschrie. War dies wirklich ein Schatten, eine Seele, sie sah mit den blutgetränkten Kleider so menschlich aus. Doch nach Luft ringend, konnte ich nicht wirklich darüber nachdenken. Als Iros ein zweites Mal mit seinem Speer zu stieß, ging die Frau zu Boden. Die Schattenkämpfer blieben jedoch und noch immer bekam ich keine Luft. Ich versuchte noch einmal ein wenig einzuatmen, doch es gelang mir nicht. Da hörte ich Dylan schreien, wann war er gekommen? Ich sah wie er mit seinem Schwert nach einem der Schatten hieb und dabei vor Schmerzen aufschrie. „Seine Hände, welch ein Narr“, war das Letzte was ich noch denken konnte, bevor ich zu Boden sank. Dann bekam ich auf einmal wieder Luft, als die Schatten verschwanden. Augenblicklich stürzte ich zu der, auf dem Boden liegenden, Frau. Ein Blick genügte und ich wusste, dass sie unwiderruflich in Ylathors Reich eingegangen war. Warum hatte er das getan? Wir hatten doch besprochen, dass wir dem Schatten nicht den Tod bringen würden, schließlich lautete unser Auftrag, ihn zurück zu Udele zu führen. Er hätte doch bemerken müssen, dass er einem Mensch aus Fleisch und Blut gegenüber gestanden hatte. Sie hatte sich nicht einmal gewehrt. Die Tür zu Udeles Schlafgemach war verriegelt und langsam regte sich unser Zweifel und so brachen wir sie auf. Das Zimmer war leer, die Fenster offen. Kaum wurden wir uns über die Bedeutung bewusst, als die Eingangstür aufschlug und das Geräusch von Schritten zu vernehmen war. Die Stadtwache. Hinter ihr lief Udele mit einem boshaften Grinsen auf dem Gesicht. Als sie uns erblickte, schrie sie: „Sie haben meine Schwester umgebracht!“ Fassungslos starrte ich die Frau an, die in Tränen ausbrach. Die Stadtwache begann uns zu fesseln. Da rief Gray: „Ich hab es euch gesagt. Sie hat uns benutzt um ihre Schwester umzubringen. Dämonenpaktiererin. Ihr habt es selbst nachgelesen.“ Wie recht er hatte, die Erkenntnis traf mich wie ein Schwerthieb. Wieder einmal waren wir in eine Falle getappt und hatten den Falschen getraut. Ich wäre dahinter gekommen, hätte ich nur mehr Zeit gehabt. Doch der Schrecken war zu groß, als dass ich wirklich wütend sein konnte. Es war vielmehr ein Gefühl von Verzweiflung, welches sich meiner bemächtigte.
Das was danach folgte, zählt für mich zu den schrecklichsten Erlebnissen in meinem bisherigen Leben. Wir wurden unserem Besitz bis auf die Unterkleider entledigt und in ein dunkles, feuchtes Loch geworfen. Die Erinnerung an den Geruch wird mich den Rest meines Lebens verfolgen. Mutter, es glich einem Alptraum. Doch noch hatten wir genügend Kraft, oder nenn es wie du willst, und so gerieten Iros und ich ein weiteres Mal aneinander. Er wies alle Vorwürfe von sich und zeigte sich seiner Fehler nicht im Geringsten einsichtig. Er machte es sich einfach und dachte nicht einmal über sein Handeln und die Konsequenzen nach. Ich konnte es nicht fassen, doch angesichts der Lage, sah ich keinen Sinn in unserem Streit. Doch ich wünschte mir, dass er wenigsten ein wenig über sein Verhalten reflektieren würde. Sollten wir hier jemals wieder lebend heraus gelangen, täten wir alle gut daran, aus unseren Fehlern gelernt zu haben.
Fieberhaft dachte ich über einen Ausweg nach und rief nach einer Wache. Ich bat um Pergament und Feder, um eine Nachricht an dich zu verfassen. Doch im Gegenzug verlangte der Mann etwas und schaute mich dabei lüstern an. Ich wusste, nach was er verlangte. Meine Gedanken überschlugen sich, das Klopfen meines Herzens hallte laut in meiner Brust. Ein Strom aus Bildern überschwemmte und lähmte mich. Doch wenn es die einzige Möglichkeit wäre, um das Leben meiner Gefährten zu retten…Da packte Gray die Mann mit seiner Magie, stieß ihn gegen das Gitter und brüllte ihn an. Daraufhin starrte die Wache ihn panisch an und floh. Zwischen Verärgerung, Verzweiflung, dass mit der Wache auch die Möglichkeit, dich benachrichtigen, verschwunden war und unbeschreiblicher Erleichterung und Dankbarkeit, war es mir kaum möglich zu sprechen. Doch Grays Wutausbruch hatte bittere Folgen. Die Nacht bracht herein und dauerte an. Niemand kam, um uns etwas zu essen und zu trinken zu bringen. Bis zu unserem Prozess, heute weiß ich sechs Tage lang, ließ man uns alleine in der Dunkelheit. Ich hätte mich, wie Gray, gegen diese Entbehrung auf magische Weise stählen können, doch mir fehlte dazu jegliche Kraft. Endlich hatte der Alptraum ein Ende, als man uns am Ljosdag, 2. Trideade Trollmond auf den Marktplatz schleifte. Dort hatte sich schon eine beachtliche Menschenmenge versammelt. Oh Mutter, dass ich jemals dort stehen würde, des Mordes angeklagt. Wie konnte dies nur geschehen?
Udele, dieses Biest saß ebenfalls dort und grinste uns höhnisch an. Der Laird Donuilh MacConuilh, Fürst von Conuilhnor, erhob das Wort und klagte uns des kaltblütigen Mordes an Rubin NiRathgar an. Dann war es an der Händlerin ihre Anklage vorzubringen. Als sie geendet hatte, wurde uns das Wort erteilt und ich erzählte die Geschichte aus unserer Sicht. Ich sprach dabei ausschließlich Wahres, weshalb ich nicht bestritt, für Rubins Tod verantwortlich zu sein, denn Iros hatte sie, aus welchen Gründen auch immer, getötet. Der Laird hielt unsere Geschichte für unglaubwürdig und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Denn sie noch einmal aus meinem eigenen Mund zu hören, ließ mich unsere Einfältigkeit und die Absurdität unseres Auftrages erkennen. Nun lag unser Schicksal in den Händen der Leumundszeugen. Sofort trat Glarn Rabenbart vor und sprach sich für uns aus. Ihm folgten Bardulf und Meister Cleobolus, der ein Schreiben des Abts von Muranmuir vorzeigte. Schließlich trat ein mir unbekannter Mann in Robe aus der Menge und stellte sich als Nervan, Magister der königlichen Akademie zu Cambryg. Er suche nach einer Gruppe, die einen Auftrag erfüllen sollten und meinte wir wären dafür, den Erzählungen zufolge, die richtigen. Sollten wir ihn erfüllen, würden wir frei gesprochen werden, sollten wir fliehen, würde man uns für vogelfrei erklären. Der Laird hielt diesen Vorschlag für eine gute Möglichkeit, doch verlangte er von uns darüber hinaus noch ein Blutgeld von 100 Oring, das wir an Udele zu zahlen hatten. Sie hat uns belogen, benutzt, schließlich angeklagt und sollte nun auch noch 600 Oring dafür bekommen. Wahrscheinlich war sie auch noch mit einem Dämon im Bunde. Bei diesem Gedanke stieg erneut Zorn in mir auf, doch was hatten wir für eine Wahl? Uns wurde freigestellt, das Geld selbst zu bezahlen oder einen Bürgen zu finden. Und genau dies ist der Grund weshalb ich dir in aller Eile diesen Brief schreibe. Niemand von uns nennt 100 Oring sein Eigen und ich weiß nicht an wen ich mich sonst wenden soll. Es beschämt mich, mit solch einer Bitte an dich heranzutreten, Mutter. Es tut mir leid… Wie sehr ich mir wünsche, ich könnte dich sehen.
Ich hoffe, dass der Bote schnell ist und mich deine Antwort bald ereilt.
In Liebe
Enya
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