Für mich ist Midgard aus vielen Gründen das perfekte Spielsystem. Die wichtigsten Gründe dafür sind:
1. Ich erzähle gerne als SL eine Geschichte, auf deren Verlauf die SF einen entscheidenden Einfluss haben - also erzählen wir (SL & Spieler) gemeinschaftlich eine Geschichte. Das ist es, was Rollenspielen für mich von allen anderen Formen der Unterhaltung unterscheidet. Das Regelsystem hat dabei aus meiner Sicht exklusiv die Aufgabe, eine Entscheidungsfindung zu ermöglichen ob die fiktiven Handlungen der SF erfolgreich oder nicht erfolgreich durchgeführt werden können. Mit dem Einsatz von Würfeln wird dabei eine Entscheidungsinstanz in das Spiel eingebracht, die dem Zugriff aller Beteiligten (also auch und gerade dem SL!) entzogen ist. Die Würfel sind für mich sozusagen die dritte Macht am Spieltisch. Das Alles liefert Midgard in einer für mich überzeugenden und vor allem funktionierenden Art und Weise. Ich kenne gut und gerne 20 bis 30 Systeme die alle für meine Zwecke nicht gut funktionieren, weil entweder die mathematischen Annahmen fehlerhaft sind, oder weil das Spielsystem einen Brettspielcharakter aufweist, mit welchem meine Geschichten einfach nicht funktionieren.
2. Midgard hält SF auf einem spielbaren Powerlevel. Auch im 15. Grad ist eine SF bei Midgard glaubwürdig und kein Superheld, der lächelnd von 300 Pfeilen durchbohrt ein Hochhaus hinunterstürzt und dabei einen Drachen mit seinem Daumen erwürgt. Das halte ich für langweilig und hochgradig lächerlich (Kennt jemand Super-Toastbrotmann?) Außerdem lehne ich Spielsysteme ab, bei denen die Machtfülle der SF bestimmt, wann in einer Geschichte welcher Gegner auftauchen darf, oder wo die Gimmick-Kräfte der SF nach einem festen Ablaufplan bestimmen wann was zu geschehen hat. So kann ich zumindest keine Dramaturige führen. Mich interessiert auch nicht, welche SF sich der -für mach ja mehr oder weniger unbekannter- Herausgeber eines Rollenspiels ausgedacht hat, ich will wissen, welche Stories und Charaktere in den Köpfen meiner Freunde stecken. Mit Midgard kann ich all all das im Fantasy-Genre abdecken was mich interessiert, also eher die Klassiker wie Tolkien, Karl Edward Wagner oder Fritz Leiber. Gerne auch düsterere Sachen wie die Geschichten von Dan Abnett (Mallus Darkblade!!!)oder Yack Yeovil. Aber eher Dinge die unter der Annahme gewisser Auxiome (Magie funktioniert, Es gibt Dämonen, Elfen und Zwerge...) vorstellbar bleiben. Auch hier bietet mir Midagard alles was ich brauche als SL und als Spieler.
3. Das Magie- und Fertigkeitssystem hat für meine Zwecke die exakt richtige Zielrichtung. Das Vorwort zum Arkanum von M4 trifft es für die Magie perfekt und beschreibt für mich genau die Überlegungen, die ich selber anstellen würde, müsste ich ein eigenes System schreiben. Mal abgesehen von der Beschwörung von Dämonen kann hier alles mit Magie machbare grundsätzlich auch mit mondänen Mitteln zustande gebracht werden. Es geht also um den Stil und nicht um die Macht. Auch abseits von den Magieregeln beschreibt Midgard Fertigkeiten und Möglichkeiten der SF die vorstellbar bleiben. Bei einigen anderen Spielsystemem gibt das System eng umgrenzte Superkräfte vor. Dabei verkommt das Rollenspiel aus meiner Sicht zu einer Art "Coole-Sonderfähigkeiten-Quartett" bei dem es nur darauf ankommt, dass der Spieler im geegneten Moment seine "Coole-Sonderfertigkeits-Karte" (Äh...kennt jemand Super-Toastbrotmann?) in Spiel bringt, frei nach dem Motto "260 PS - 12 Zylinder - STOPP!" Bei Midgard müssen sich die Spieler selbst etwas einfallen lassen, und wenn es nicht zu überfantastisch ist, kann der Spielleiter mit diesem System die Handlung auf den gewünschten Erfolg überprüfen. Das will ich sehen: Kreativität der Spieler. Dieser Ansatz stirbt aber leider aus.
4. Die Fans sind relativ angenehm und scheinen - und das scheint mir ein wichtiger Vorteil zu sein - nur mäßigen Einfluss auf das Endprodukt zu haben. Die Authoren scheinen hier seit Jahren ihr eigenes Ding zu machen, und das ist gut so. Ich vermute, Midgard will ein klassisches Rollenspiel sein und versucht nicht mit anderen Medien wie z.B. Computer-RPGs zu konkurieren. Das ginge zwar schon, mann müsste sich dabei aber darüber im Klaren sein, was das Rollenspiel in sich selbst ist; was es kann und was nicht. Dabei versagen viele Andere, denn in Hinsicht der visuellen Präsentation (Filme oder Computerspiele), der Möglichkeit zur passiven Rezeption (Bücher) oder der absoluten Immersion (Live-RPG) kann das klassische Stift-und-Papier Rollenspiel nur den Kürzeren ziehen. Midgard aber ist Midgard. Gut so. Punkt.
Die oben genannten Punkte erzähle ich meinen Spielern im Übrigen seit einigen Jahren. Will aber keiner hören. Wir spielen was Anderes. Meine Gedanken haben mir den Spitznamen "Dr. Freud des Rollenspiels" eingetragen. Ich wollte meine Gedanken daher mal hier posten. Es würde mich freuen, wenn sich von diesen Argumenten vielleicht mal jemand überzeugen ließe, dann käme mir meine verkopfte Herumdenkerei auf dem Hobby nicht gar so sinnlos vor.