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Liebste Mutter, ich befinde mich wieder in Twineward, doch wir werden nur eine Nacht hier verweilen. Morgen setzten wir unsere Reise nach Thame fort. Vier Tage blieben wir in Gileburne, um Hiladis Tod zu betrauern und um wieder zu Kräften zu kommen. Am Sedag brachen wir auf und verließen den Ort des Schreckens. Nach zwei Tagen ereignisloser Reise kamen wir schließlich in Kildandun an. Zugleich fragten wir bei der Wache nach Aelfrod, der uns kurz darauf erwartungsvoll entgegen trat. Wie groß muss der Schmerz über den Verlust seiner Schwester gewesen sein. Seine Schwester, die einzige, die ihm von seiner Familie geblieben war. Er dankte uns und meinte, dass wir sicherlich alles getan hätten um sie zu beschützen. Wie Schwerthiebe waren seine Worte und in meinen Ohren wurden sie zu Hohn. Ich wäre am liebsten vor ihm auf den Boden zusammengesunken, so schwer wogen Reue und Schuld. Als Aelfrod sich ein Stück entfernte, bat Gray mich, seinen Stab zu nehmen. Verwirrt blickte ich ihn an, dann begann ich zu ahnen was er vorhatte. Etwas in mir schrie vor Entsetzen auf und wollte ihn zurückhalten, doch ich unterdrückte es, schließlich war es seine Entscheidung. Darüber hinaus war ich mir noch nicht einmal über seine Absicht sicher. Er folgte Aelfrod und wechselte ein paar Worte mit ihm. Nach kurzer Zeit zog Aelfrod sein Schwert, Gray kniete sich vor ihm nieder und bot ihm seinen Nacken dar. Da wand sich das Etwas in mir und entkam meinem Griff. Mit grauenvollen Bildern vor Augen, stürzte ich mit einem Schrei zu Gray. Die anderen folgten mir. Aelfrod, stand mit erhobenem Schwert vor Gray und Tränen rannen über sein vor Wut und Schmerz verzerrtes Gesicht. Iros und Mira rangen ihn zu Boden, worauf hin er schrie: „Glaubt ihr wirklich ich würde einen Unschuldigen…“ Nachdem sie von ihm abgelassen hatten, bat er endlich zu erfahren, wie es zu dem Tod seiner Schwester gekommen ist. Ich erzählte ihm die Geschichte und teilte ihm mit, dass Hiladis Auftrag, den sie von der Göttin Vana erhalten hatte, erfüllt worden war. Nachdem ich geendet hatte, zog Gray einen Dolch, schnitt sich damit, ließ einige Tropfen Blut in ein Döschen fließen und übergab es Aelfrod, mit den Worten: „ Falls Ihr es Euch doch noch eines Tages anders überlegt. Damit werdet ihr mich finden.“ Schweigend kehrten wir in den Vielfraß ein. Als wir am Tisch saßen, ergriff Iros das Wort und äußerte sich ziemlich verärgert über Grays Handeln. Gray entgegnete ihm, dass Hiladis Bruder das Recht Rache zu nehmen gehabt hätte. Bruna stimmte ihm zu, es sei eine Frage der Ehre. Iros hielt dies alles für Schwachsinn und sprach von Vertrauen in der Gruppe. Mir war nicht klar, was Vertrauen damit zu tun hatte. Dylan stellte sich jedoch auf seine Seite und meinte die Schuld, die sich Gray aufladen würde, wäre zu schwer. Er erinnerte ihn an das Versprechen, welches er meinem Vater gegeben hatte. Gerade als Iros aufstehen wollte, trat eine uns bekannte Gestalt an den Tisch. Es war niemand anderes als Meister Cleobolus. Er war mit seinem neuen Wagenlenker, ein Mann namens Lakon, ebenfalls auf dem Weg nach Thame und wir beschlossen am nächsten Morgen gemeinsam aufzubrechen. Eine Weile saßen wir noch am Tisch und tauschten ein paar Worte über vergangene Zeiten aus. Noch war es nicht lange her, und doch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. So viel war inzwischen geschehen. Auf Bitten der Dorfbewohner, die Dylan erkannt hatten, stimme er gemeinsam mit Gray und mir eine traurige Ballade über Hiladis tragischen Tod an. Am Morgen des Seachdag brachen wir trotz Neuschnee in Richtung Twineward auf. Am Abend bauten wir unser Lager auf. Dylan beanspruchte im Scherz Iros Zelt, damit er und ich die Nacht alleine verbringen könnten. Iros flüsterte ihm etwas in Ohr und zu meinem Erstaunen schüttelten sie Hände. Mira, die es sich schon in dem Zelt gemütlich gemacht hatte, konnte es nicht fassen, als Iros von ihr verlangte, das Zelt zu verlassen. Ich werde aus diesem Mann nicht schlau, seine Taten sind so schwer einzuschätzen. Ich weiß nie, was er als nächsten vorhat, geschweige denn was er sich dabei denkt. Mit einem Kopfschütteln trat ich mit Gray die erste Nachtwache an. Iros verlangte mit Dylan die zweite und dritte zu übernehmen. Was genau er damit bezweckte, war mir schleierhaft. Ich wusste nur, dass Dylan mit mir alleine sein wollte. Männer… Meine Gedanken dagegen waren mit anderen Dingen beschäftigt. Als die anderen zu Bett gegangen waren, saßen Gray und ich eine Weile schweigend am Feuer. Dann begann ich. Ich sprach über das schreckliche Gefühl in dem Moment, in dem ich dachte ich würde ihn verlieren. Über die Zuneigung, die ich zu ihm empfinde und welche größer ist, als ich es jemals für möglich gehalten habe. Er widersprach mir, als ich sagte, dass er nicht alleine die Schuld trägt. Ich meinte, wenn er keine Achtung vor dem Leben hat, könnte ich daran nichts ändern, doch sollte ihm bewusst sein, dass es Menschen gibt, die ihn schätzen und über seinen Tod trauern würden. Ich fragte ihn, ob der Tod nicht vielmehr eine Flucht vor der Schuld sei. Die einfachere Lösung, anstatt mit der Reue weiterzuleben. Wir hatten alle für unsere Taten Verantwortung zu tragen und sollten wie nicht eher versuchen, sie in unserem Leben wieder gutzumachen? Er stimmte mir zu, jedoch meinte er, dass es keine Flucht gewesen sei. Aelfrod hätte das Recht gehabt zu nehmen, was ihm genommen wurde. Zorn regte sich in mir und ich erhob meine Stimme. Grays Tod hätte Hiladis nicht zurückgebracht. Stattdessen hätte er nur Aelfrod mit Schuld beladen, ihn als Mörder zurückgelassen. Gray gab zu, dass er nicht über die Konsequenzen seiner Entscheidung nachgedacht hatte und sprach auch seinerseits über die Zuneigung zu mir. Er hätte das Versprechen an Vater nicht gegeben, wenn er nicht so fühlen würde wie ich. Mit dem Gefühl von Wärme, Verbundenheit und dem Gefühl, ihn beschützen zu müssen, umarmte ich Gray. Nachdem wir den Rest der Wache schweigend verbracht hatten, weckten wir Iros und Dylan. Als ich gerade dabei war einzuschlafen, huschte eine Gestalt zu mir ins Zelt. Kurz darauf spürte ich Dylans Arme, die mich an ihn zogen. Meine Verwirrung schwand in wenigen Augenblicken und ich war froh für einige Zeit die Geschehnisse der vergangenen Tage vergessen zu können. Im Halbschlaf merkte ich noch, wie er das Zelt wieder verließ, doch im nächsten Moment war ich schon eingeschlafen. Am Nachmittag des Oachdag kamen wir an die Stadttore Twinewards. Nach einigen Schwierigkeiten mit den Wachen bezüglich des Zolls (dank Iros), entschieden wir uns ins Chet Halbytla zu gehen. Wie sehr freuten wir uns auf das köstliche Essen und die Gastfreundschaft der Halblinge. Im Hort der Gemütlichkeit angekommen und gespeist, brachen wir zum Badehaus auf. Da meinte Dylan, er hätte eine Idee, nahm meine Hand und führte uns hinaus, in vertraute Gassen. Als wir an dem mit Hütchen spielenden Gnom vorbeikamen, wusste ich mit Sicherheit, was sein Ziel war. Eine Mischung aus Beschämung, Belustigung, Freude und Glück stieg in mir auf. Schließlich kamen wir an den Marktplatz, an dem Dylan, Gray und ich uns das erste Mal getroffen hatten. Kaum eine Handvoll Monde sind seitdem vergangen, und doch scheint es so lange her. Dylan stellte sich auf die Bühne und die Menge begann zu raunen. Er kündigte ein Liebeslied an, welcher er für „diese schöne Frau“ singen würde. Damit stimmte er ein mir wohlbekanntes Lied an. Zuvor hatte Gray es sich nicht nehmen lassen, während der Barde sprach, seine Laute mit Hilfe von Magie von Dylans Rücken in seine Hände schweben zu lassen. Für einen Moment trat Schrecken in Dylans Augen, doch dann zwinkerte er Gray zu und lachte, so wie auch ich lachen musste. Gray stimmte mit seiner Okarina in Dylans Spiel ein. Als ich dort stand wurde ich von Liebe, Glück und Freude überwältigt. Gerührt und glücklich betrachtete ich die beiden und lauschte ihrer Musik. Mira ließ einen Hut rumgehen (wie immer) und gab das Geld anschließend an Gray. Zu Dylan gewandt meinte sie, er bräuchte es nicht, denn er habe ja bereits seinen größten Schatz gefunden. Verschmitzt lächelte er mich an und meinte, dass sie recht habe. Ich frage mich, wie viel davon ehrliches Gefühl und wie viel Aufschneiderei ist. Mutter, werde ich mir ihm jemals sicher sein können? Manchmal fühle ich mich ihm so nah, manchmal habe ich das Gefühl zwischen uns liegen Welten. Werde ich ihn gehen lassen können, wenn er sich entscheidet mich zu verlassen? Schließlich begaben wir uns ins Badehaus. Ich genoss gerade das wohltuende Bad und die Ruhe, als ich durch die Vorhänge Dylans Aufschrei hörte. Kurz darauf waren weitere Rufe und das Platschen und Spitzen von Wasser zu hören. Auf einmal übergoss mich ein Schwall kaltes Wasser und ich schrie erschrocken auf. Daraufhin kam Mira zu mir gerannt und fragte, was los sei. Panisch tauchte ich unter und drückte meinen Arm gegen den Rand des Zubers. Ich hoffte inständig, dass ihr in dem schwachen Licht und aufgrund der nassen Haare nichts auffallen würde. Ich hatte sie schon viel zu lange nicht mehr nachgefärbt. Endlich hatte ich etwas Ruhe und Zeit nur für mich und dann passierte so etwas. Ich schrie, dass alle raus und mich alleine lassen sollten, worauf hin Mira wieder zurück lief. Kurz darauf hörte ich die wutentbrannte Stimme des Badehausbesitzers und kurzer Hand wurden Gray und Iros hinausgeschmissen. Nach kurzem Überlegen, pfiff ich und einen Moment später erschien Dylan lächeln hinter dem Vorhang… Ich war froh, diesmal den Weg nicht alleine zurück durch die dunklen Gassen gehen zu müssen. Als wir uns alle wieder im Hort der Gemütlichkeit versammelt hatten, besprachen wir noch einmal das Ziel unserer Reise. Gray teilte uns mit, er wolle in Thame der Magiergilde beitreten. Bruna schien davon wenig begeistert, denn sie wollte dort nicht lange verweilen und erst recht nicht ihre Familie besuchen. Weder Mira noch Bruna scheinen auf ihre Verwandtschaft besonders gut zu sprechen sein, ich frage mich wie es wohl dazu gekommen ist. Vielleicht werde ich es eines Tages erfahren. Noch weiß ich so wenig über meine Reisegefährten. Selbst mein lieber Barde hat noch viele Geheimnisse. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie alle erfahren möchte. Ich habe dir noch gar nicht viel über ihn erzählt. So fröhlich und unbeschwert wie man ihn erlebt, würde man nicht denken, dass seine Kindheit alles andere als glücklich war. Er verlor mit vier Jahren seine Familie und der alte Barde des Dorfes nahm sich ihm an. Doch er nutze Dylans Talent aus und bezahlte damit seinen Alkohol. Als Dank dafür bekam der Junge die Fäuste seines betrunkenen Meisters zu spüren. Einige Jahre später, nach dem Tod seines Lehrers, zog er alleine durch Alba. Sein Wunsch ist es, eines Tages in die Bardenschule nach Erainn zu gehen. Wie gerne würde ich ihn dorthin begleiten. Ein Ort voller Musik, ich kann mir wenig Schöneres vorstellen. Wenn mich nicht andere Aufgaben riefen, dann… Hier im Hort der Gemütlichkeit scheinen die Ereignisse der letzten Tage schon nicht mehr so schrecklich. Langsam verebben die schmerzhaften Erinnerungen und quälenden Gefühle und wir können wieder lachen, wenn auch vielleicht noch nicht aus vollem Herzen. Ich bin erleichtert, dass meine Begleiter immer noch an meiner Seite sind. Ich schaue der Reise nach Thame mit Freude entgegen. Es gibt einiges, was ich in der Stadt tun möchte. Doch erst einmal muss etwas gegen mein immer wiederkehrendes Problem geschehen. Bis auf eine Goldmünze, eine Handvoll Syring und Penning, besitze ich nichts mehr. Ein paar Nächte werde ich mir noch leisten können, dann weiß ich nicht was ich tun soll. Ich frage mich ob ich zu viel ausgebe? Ich muss dagegen etwas tun, ich möchte den anderen nicht zur Last fallen, erst recht nicht mit Geldsorgen. Nach der Geschichte mit dem Thursen, der wie sich herausstellte nur ein Troll war und der Reise im Winter, sollte ich schnellstmöglich ein Zauber lernen, der mich vor Kälte schützt. Ich wäre die erste, die im Kampf gegen ein Eiswesen fallen würde. Die Magie, Dinge mit unsichtbarer Hand zu bewegen, die Gray schon einige Male angewandt hat, erscheint mir auch recht nützlich. Oh, es gibt noch so viel was ich zu lernen habe. Mutter, ich danke dir für deine Antwort. Ich weiß deine Worte sehr zu schätzen. Bisher war jedoch noch nicht die passende Gelegenheit mich meinen Gefährten anzuvertrauen. Fühle dich umarmt. Vielleicht kann ich die anderen doch noch überzeugen von Thame aus weiter nach Fiorinde zu reisen. Ich möchte dich wiedersehen und vor allem möchte ich dir meine Begleiter vorstellen! In Liebe Enya
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Liebste Mutter, er ist zurückkommen. Mein Schlaf war unruhig und früh stand ich auf, um draußen auf Dylan und Bruna zu warten. Endlich sah ich zwei Gestalten auf die Hütte zu kommen. Mein Ärger war verflogen und Erleichtert fiel ich Dylan um den Hals, doch da bemerkte ich, dass etwas geschehen war. Trauer verzerrte die Gesichter der beiden und sie berichteten uns von Hiladis Tod. Sie war von Bissen auseinandergerissen worden, das blutgetränkte Zelt musste ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Sofort wussten wir wann und wie sie gestorben war. Sie hatte durch den Tod Woldrens mit dem Leben büßen müssen. Und wer war dafür verantwortlich? Wir. Wir, die sie eigentlich hätten beschützen sollen, hatten ihr den Tod gebracht. Nun blieb uns nur eines, wenigsten den Geist Joyfrids zu erlösen und den Dorfbewohnern ihr Leben zurück zu geben. Vor dem Geist, der wieder Dylans Stimme übernahm, rammte sich Gray, bevor ich etwas dagegen tun konnte, den Dolch in seinen ohnehin schon verwundeten Leib, worauf hin der Geist der Priesterin mit den Worten „Endlich bin ich erlöst“ verschwand. Trauernd und schweigend liefen wir zurück zum Dorf. Die Veränderung war augenblicklich spürbar. Wir erzählten den Dorfbewohnern die Geschichte und bereiteten die Beerdigung Hiladis vor. Gray bestand darauf, das Grab alleine auszuheben und wir respektierten seinen Wunsch. War er doch derjenige gewesen, der Woldren dem Schlammteufel entgegen geworfen hatte. Doch die Schuld traf ihn nicht allein. Hätte ich nicht dem Mann den Knebel abgenommen, hätte er das Tier nicht rufen können. Hätten wir uns dem Tier, trotz der Gefahr für unser Leben, entgegen gestellt, dann wäre die Priesterin noch am Leben. Wie hatte ich nur so egoistisch denken können? Nicht einen Moment hatte ich bedacht, dass auch Woldren unter dem Bann Joyfrids stand und damit Hiladis all seine Wunden und Schmerzen auf sich nahm. Groß war die Trauer und die Reue als wir das blutgetränkte Zelt mit dem Körper der Priesterin in das Loch hinab ließen und es mit Erde bedeckten. Ich kniete mich vor das Grab und betete zu den Göttern. Doch Zweifel und Unglaube nagten an mir. Warum hatte gerade Vana, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens, dieser Frau eine solche Prüfung gestellt? Hätte eine Vision nicht ausgereicht? Warum musste eine Frau die Schmerzen so vieler Menschen auf sich nehmen? Warum hatte die Göttin Joyfrid nicht von Anfang an aufgehalten? Warum hatte Vana dieses Werk so lange gebilligt, hatte sich nicht vorhersehen können, was die Priesterin mit ihrem Tun anrichten würde? Fragen auf die ich wohl nie eine Antwort bekommen würde. Die Wege der Götter sind unergründlich, doch nach diesen Ereignissen scheinen sie mir noch fremder. Ich denke wir werden diesen Ort bald verlassen und zu Aelfrod MacBeorn zurückkehren, um ihm die schreckliche Nachricht zu überbringen. Wenn ich nur etwas tun könnte, doch nichts wird seine Schwester zurück in Leben bringen. Das Gefühl des Versagens könnte kaum größer sein. Doch nicht nur die Frau, die wir hätten beschützen sollen fand den Tod. Ich hätte beinahe zwei mir wichtige Menschen verloren. Ich fühle mich schrecklich. Bestürzt, schwach, nutzlos, verloren. Dass mich etwas in dieser Welt so tief erschüttert… Dieses Gefühl war mir unbekannt, diese Angst, ich hatte sie noch nie verspürt. Ich muss stärker werden. Stärker, damit ich an ihrer Seite sein kann. Stärker um sie vor dem Tod zu bewahren. Stärker um mich selbst zu schützen, damit sie es nicht tun müssen. Vater hat gesagt, er reißt sie in Stücke, sollte sie mich nicht beschützen. Doch wenn sie dabei ihr Leben verlieren, dann möchte ich ihren Schutz nicht, denn innerlich würde es mich in Stücke reißen. Das Nächste Mal werden sie mich mit Gewalt zurückhalten müssen. Nie wieder möchte ich zurück gelassen werden! Ich mache mir Sorgen um Gray. Er war so still, was er wohl denkt? Nimmt er alle Schuld auf sich? Wie kann ich ihm helfen, diese Last zu tragen? Ich habe ein ungutes Gefühl, ich werde in den nächsten Tagen ein Auge auf ihn haben. Die Geschehnisse der letzten Tage haben mir bewusst gemacht, was mir die Menschen um mich herum wirklich bedeuten. Obwohl ich Gray kaum kenne und wenig über ihn weiß, fühle ich eine tiefe Verbundenheit zu ihm. Auch wenn er seine Schattenseiten hat und wir uns in manchem grundlegend unterscheiden, ändert es nichts an meinem Vertrauen und meiner Zuneigung ihm gegenüber. Ich würde ihm ohne zu Zögern mein Leben anvertrauen. Neben dem Schrecken und der Trauer, findet immer noch Verärgerung Raum in mir. Mich würde der Barde nie alleine gehen lassen, aber ich musste zuschauen wie er im Moor verschwand, ohne die Gewissheit, dass ich ihn wiedersehen würde. Oh Mutter, was wäre geschehen, hätte er den Tod gefunden? Trotz aller Vorsätze, jeglicher Vernunft wurde meine Zuneigung zu Dylan immer größer. Ohne dass ich es gewünscht oder bemerkt hatte, wurde aus Zuneigung Liebe. Ertrage ich es, wenn er mich verlässt oder schicke ich ihn lieber fort, um diese Trauer nicht erleben zu müssen? Was für eine unsinnige Frage. Natürlich möchte ich, dass er an meiner Seite bleibt. Ich werde den Tod als Bestandteil des Lebens akzeptieren müssen und mich jeden Tag freuen, den ich gemeinsam mit den mir lieben Menschen erlebe. Ich habe ein Gedicht geschrieben, vielleicht finde ich dazu noch eine Melodie. Ich werde es zu meinem Brief legen. Ich warte sehnlich auf deine Antwort. In Liebe Enya
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Liebste Mutter, nachdem wir das Halfdal schließlich verlassen hatten und in Richtung Thame aufgebrochen waren, hörten wir nach langer Zeit wieder Gerüchte über den Roten Ritter. Er schien wieder oder immer noch sein Unwesen zu treiben. Am Aonadag, 2. Trideade Rabenmond erreichten wir die ersten Ausläufer des Pengannions und kamen an ein größeres Dorf. Dort kehrten wir in das einzige Gasthaus „Zum Vielfraß“ ein. Dylan wurde von dem Wirt erkannt und da wir für musikalische Unterhaltung sorgten, bekamen wir ein Zimmer kostenlos. Während sich die Taverne mit Musik und Menschen füllte und Mira nach unserer Darbietung Dylans Hut rumgehen ließ, machte Dylan den Vorschlag uns einen Namen zu geben, denn er fand es unpassend uns als seine Begleitung vorzustellen. Ein Gedanke, der mir nicht in den Sinn gekommen wäre, doch die Vorstellung, so gemeinsam durch Alba zu reisen, zauberte mir ein Lächeln auf das Gesicht. Ich werde mir einen Namen überlegen, vielleicht habe ich eine passende Idee. Später kam Dylan mit einem weiteren Schlüssel zu mir und ich war froh, mit ihm alleine in einem Zimmer zu sein Als der Abend weitervorangeschritten war, öffnete sich die Tür und ein Mann in Begleitung einer blass aussehenden Frau betrat das Gasthaus. Es handelte sich um Aelfrod MacBeorn, ein Mann der Wache und seine Schwester Hiladis. Sie erbaten unsere Hilfe. Sie war von Vanaspring hier her gekommen, denn die Göttin Vana hatte ihr in einer Vision aufgetragen zu dem kleinen Dorf Gileburne zu gehen. Ihr Bruder konnte sie jedoch nicht begleiten und so bat er uns, sie sicher dort hin und wieder zurück zu begleiten. Obgleich uns die Reise in Richtung Südosten und den Sumpf führen würde, beschlossen wir den beiden zu helfen. Aufgrund eines Fests brachen wir erst am Criochdag auf nach Gileburne. Dort angekommen sollten wir nach Royden, einem alten Waffengefährten von Aelfrod fragen. Am Abend teilten wir die Wache ein, doch es war eine ruhige Nacht. Am nächsten Tag gelangten wir in das Moor. Hiladis saß auf dem Wagen, doch nach einiger Zeit konnten wir nicht mehr weiter, denn sie hatte unerklärliche Schmerzen. In der Nähe stand eine kleine Schilfhütte, in die wir die Frau trugen. Die Schmerzen wurden immer schlimmer und sie begann zu bluten. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gesagt, sie würde ein Kind gebären. Bruna und ich kümmerten uns so gut es ging um die Frau, als wir auf einmal ein Fauchen hörten. Draußen waren drei Echsenmenschen, die uns eine Wurzel gaben, die der Frau helfen würde. Dafür wollten sie etwas Glitzerndes und bekamen die Maske, die wir damals in Crossing gefunden hatten, von Gray. Ich hatte schon befürchtet, es würde zum Kampf kommen, doch Iros beherrschte sich (erstaunlicherweise). Die Wurzel half Hiladis tatsächlich und schon bald schlief sie ein. Schließlich bauten wir eine Trage und setzten damit unseren Weg fort. Am Abend des Ljosdag kamen wir an das kleine Dorf Gileburne, das nur aus neun Hütten bestand. Etwas stimmte dort nicht, eine seltsame Lethargie schien sich der Dorfbewohner bemächtigt zu haben. Auch Royden zeigte dieses merkwürdige Verhalten und wir erfuhren, dass seine Frau gerade erst ein Kind bekommen hatte. Sofort kamen uns Hiladis Schmerzen in den Sinn und wir fragten nach dem Zeitpunkt, welcher genau mit dem Datum übereinstimmte. Wir verließen die Hütte wieder, denn wir hatten nicht das Gefühl Hiladis unter seiner Aufsicht lassen zu können, solange wir nicht geklärt hatten, was in diesem Dorf vor sich ging. Als nächstes suchten wir den Dorfvorsteher Brannel auf. Wir erkundigten uns nach ungewöhnlichen Ereignissen, doch alles was er erwähnte waren ein paar Orte wie ein Schiffswrack im Moor und die Moortrolle. Als Hiladis am Schrein zum Gebet kniete, versammelt sich alle Dorfbewohner, doch verloren sie schnell das Interesse. Gray nahm sich einen Mann beiseite und schnitt ihn, bevor jemand etwas tun konnte, mit dem Dolch. Der Mann zeigte wenig Reaktion, noch erschien eine Wunde, jedoch blutete Hiladis an der Stelle, an der der Mann hätte bluten sollen. Damit wurde unser Verdacht endgültig bestätigt. Es war schon spät, weshalb wir uns etwas abseits im Dorf unser Lager aufschlugen. In der Nacht wachten alle durch Hiladis Schmerzensschreie auf, als sich acht Schnitte, einer nachdem anderen, auf ihren Fußsohlen abzeichneten. Vom Dorfvorsteher erfuhren wird am nächsten Morgen von Jofrid, der Vanapriesterin die dem Dorf viel Gutes gebracht hatte, jedoch seit einem Jahr verstorben war. Sie hatte in einer kleinen Hütte außerhalb des Dorfes zusammen mit ihrem Gehilfen Woldren gelebt. Niemand außer ihm wusste, wo die Hütte sich befand. Wir beschlossen den alten Mann aufzusuchen. Doch aufgrund mangelndem Wissen und Neugierde mancher Gruppenmitglieder begaben wir uns zuerst zum Schiffswrack. Mira blieb zurück, um auf Hiladis aufzupassen. Während wir im Sumpf herum stapften ging Iros etwas voraus um nach Spuren zu suchen. Er verschwand aus unserem Sichtfeld und kurz darauf hörten wir einen Schrei. Als wir zu dem Chryseia hineilten, sahen wir wie er von den Armen eines Riesenkranken in Richtung Wasser gezogen wurde. Wir versuchten das Wesen aufzuhalten, doch es gelang uns nicht. Gray sprang Iros ins Wasser hinterher und verzweifelt versuchten Bruna, Dylan und ich die beiden zu retten. Am Ende blieb mir nichts anderes als das Tier für kurze Zeit zu verwirren, doch dadurch schwand meine Kraft in wenigen Augenblicken. Endlich tauchte Iros aus dem Wasser, doch von Gray keine Spur. Grauen überkam mich, ich trank den Krafttrunk den mir Mira gegeben hatte und warf dem Wesen mit letzter Kraft noch einen Zauber entgegen. Doch Gray tauchte immer noch nicht auf. Ich kniete mich auf den Boden und bete verzweifelt zu den Göttern, als Iros um etwas bat, was ihn schneller oder stärker machen würde. Ich gab ihn den Trank von Merstonix und betete, dass es auch tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigen würde. Iros trank ihn, nahm seine Wurfspeer, rannte auf das Wasser zu und sprang ab. In dem Moment, als er seinen Speer warf, tauchte das Wesen auf und die Waffe bohrte sich in sein Maul. Ein gellender Schrei ertönte und das Wesen versank wieder unter Wasser. Iros schwamm ans Ufer zurück und auch Gray tauchte endlich auf. Unbeschreibliche Erleichterung erfüllte mich und ich warf mich um seinen Hals. Die Tatsache, dass er über und über mit Schlamm bedeckt war, bemerkte ich erst hinterher. In dem Moment war ich einfach nur überglücklich, dass Gray überlebt hatte. Wir entschlossen zurückzugehen und uns zu erholen. Auf dem Rückweg wurde Iros von einer Schlange gebissen, doch vom Dorfvorsteher erfuhren wir, dass es sich nicht um tödliches Gift handelte. Zurück bei Mira, versuchten wir unsere Kleider zu trocknen und ich bekam eine Schüssel Wasser aus dem Dorf, sodass ich zumindest den größten Teil des Schmutzes loswurde. Nachdem einige Zeit verstrichen war, brachen wir wieder auf, doch diesmal blieb Dylan bei der Priesterin. Etwas unwohl fühlte ich mich, getrennt von ihm. Ich hätte ebenfalls bleiben können, doch ich wollte nach der Begegnung mit dem Kraken an Gray Seite sein. Auch diesmal kamen wir nicht gleich an das Schiffswrack. Vorher wurden wir von einem kleinen Wesen mit dunklen Mottenflügeln aufgehalten. Es brauchte nur ein Speerwurf von Iros und das Wesen fand den Tod, doch davor setzte es uns schwer zu. Besonders Bruna, die durch die entstehende Dunkelheit fast im Sumpf versunken und dort von Blutegeln ausgesaugt worden war. Ich werde den Zauber Bannen von Dunkelheit lernen, so etwas soll uns nicht noch einmal passieren. Endlich kamen wir an das Schiff, welches jedoch meterweit im Sumpf lag. Ich konnte Gray und somit den Rest der Gruppe davon überzeugen, vom dem Wrack abzulassen und zum Lager zurückzukehren. Dort hörten wir uns noch einmal wegen der Hütte um, doch niemand konnte uns etwas sagen. Bruna musste sich von den Ereignissen erholen und blieb beim Zelt. Als wir gerade dabei waren nach Spuren im Wald zu suchen, kam uns ein alter Mann entgegen. Wir vermuteten, dass es sich um den Gehilfen handelte und sprachen ihn an. Er fragte uns, was wir hier wollten und bat uns zu gehen. Er war der erste, der dies getan hatte und so verstärke sich unser Misstrauen ihm gegenüber. Er weigerte sich uns zu seiner Hütte zu führen, doch schließlich willigte er ein. Auf unserem Weg kamen wir an eine Schlucht. Woldren wollte uns dort an einem Seil herunterlassen. Wir vermuteten eine Falle und Gray versetzte den alten Mann in Schlaf. Er wurde gefesselt und geknebelt. Gray weckte den Mann auf und begann ihm Fragen zu stellen, doch er konnte ihm noch nicht einmal antworten. Ich hatte mir das Geschehen lang genug angeschaut. Auch wenn wir den Mann verdächtigten, ging diese Behandlung zu weit. Ich nahm ihm den Knebel ab. Ein großer Fehler, wie sich kurz darauf herausstelle. Wir ließen uns an einem Seil in die Senke hin ab und begannen sie zu durchqueren. Woldren führte uns, doch nach einer Weile gellte der Pfiff des Mannes durch die Stille und der Boden vor uns brach auf. Aus dem Loch sprang ein Wesen, wie wir ihm schon einmal begegnet sind. Ein Schlammteufel. Ich schrie den anderen eine Warnung zu und begann zurück zu eilen. Ich hatte nur deine Worte im Kopf, sodass ich nicht nachdachte, was ich tat. Dann waren alle am Ende der Senke, nur Gray nicht. Er stand noch dort mit Woldren und der Schlammteufel wendet sich ihnen zu. Schon wieder fürchtete ich um Grays Leben, doch er warf den alten Mann dem Tier entgegen und rannte zu uns. Das Schauspiel was folgte, war grauenvoll, der Mann wurde von dem Tier in tausend Stücke zerfetzt. Hätten ich gewusst, was sei Tod bedeutete, ich hätte mich trotz der Gefahr ohne zu zögern auf den Schlammteufel gestürzt. Es grämte mich, dass der alte Mann so einen Tod gefunden hatte. Noch wussten wir kaum etwas über ihn, auch er mochte seine Gründe für sein Handeln gehabt haben. Als wir nach oben geklettert waren, standen wir vor zehn Echsenmenschen, die begannen uns zu umkreisen und anzufauchen. Wir konnten sie beruhigen und fragten ob sie uns zur Hütte von Joyfrid bringen könnten. Im Gegenzug wollten sie etwas Glitzerndes habe, doch niemand schien derartiges bei sich zu haben. Ich löste meinen rechten Ohrring und gab ihn schweren Herzens an den Echsenmenschen. Ich konnte die Tränen nicht verhindern, als ich Vaters Geschenk für immer aus meinen Händen gab. Die Wesen führten uns sicher durch den Wald und das Moor, bis wir schließlich an eine Hütte kamen. Drinnen entdeckten wir einen Raum mit einem Steinalter, auf dem ein Skelett lag, daneben ein Buch und eine mit Dornen besetzte Peitsche. Plötzlich erklang Dylans Stimme hinter uns und der Geist Joyfrids materialisierte sich über dem Skelett. Wir erfuhren, dass sie, nachdem sie ins das Dorf gekommen war, ihr ganzen Leben für die Dorfbewohner aufgeopfert hatte. Sie hatte die Menschen von ihrem Unglück befreit und das Paradies geschaffen, indem sie ihren Schmerz auf sich genommen hatte. Obgleich Dylan sich nicht mehr bewegen konnte, sah ich an seinen Augen, dass er alles mitbekam. Ich war erschüttert über die Taten der Priesterin und versuchte sie vom Gegenteil zu überzeugen. Denn wo kein Schmerz war konnte auch keine Freude, kein Glück sein. Gray nahm die Peitsche und hieb damit auf den Geist. Die Peitsche fuhr durch sie hindurch, stattdessen hatte Gray sich selbst die Wunde zugefügt. Außer mir vor Wut und Entsetzten nahm ich Dylans Schwert und hieb damit auf die Peitsche. Doch alles was ich damit erreichte, war ein verärgerter Geist, der mich angriff. Ich schaffte es dieses entsetzliche Werkzeug zu zerstören, doch es ändere nichts. Sie ließ dann von mir ab und ich hatte Zeit Gray zu verbinden. Ich versuchte den Geist weiter zu überzeugen, doch es war aussichtslos. Wenn wir versuchten ihr zu schaden, erlitten wir die Schmerzen. Wenn wir jedoch den Angriff jedoch gegen uns selbst richteten, schien der Geist leicht zu verblassen. Dennoch widerstrebte es uns, uns selbst zu verletzten, umso mehr, da sie uns dazu aufforderte. Gray hatte Zweifel, ob nicht Hiladis ebenfalls unsere Schmerzen spüren würde und so ließen wir von dem Geist ab. Es war schon spät, wir waren erschöpft und verwundet und zogen uns zurück. Wir suchten uns ein Zimmer und verbrachten dort die Nacht. Am nächsten Morgen bot Dylan an, nach der Priesterin zu schauen. Ich wollte ihn begleiten, denn es war wahnsinnig durch dieses Moor alleine zu gehen. Doch Dylan hielt mich zurück. Er war wieder einmal besorgt um mein Wohlergehen und sah mich lieber in Sicherheit bei den anderen. Wut und Panik mischten sich in meinen Inneren, warum sah er nicht auch meine Sorge? Warum wurde mir nicht erlaubt, aus Sorge um das Wohlergehen eines geliebten Menschen, zu handeln. Als Dylan aus der Hütte trat, wollte ich ihm folgen, doch Mira hielt mich fest und aus den Augenwinkeln sah ich Gray mit einem Säckchen spielen. Zähneknirschend gab ich auf und begab mich in tiefe Meditation. Ich flehte die Götter an Dylan zu beschützen. Danach versuchte ich etwas zu ruhen, doch ich konnte nicht in den Schlaf finden. Nun sitze ich hier und habe das Gefühl, die Zeit ist stehengeblieben. Tage sind schon vergangen, seitdem ich auf Dylans Rückkehr warte. Die Angst greift mit ihren kalten Fingern nach meinem Herzen. Meine Gedanken sind ein Chaos aus Sorgen, Furcht, Fragen und Müdigkeit. Ich wünsche, dass endlich morgen wird. Er wird zurückkommen. Ich werde noch einmal versuchen zu schlafen. Gute Nacht, Mutter. In Liebe Enya