Morpheus Geschrieben 9. März 2005 report Geschrieben 9. März 2005 In der Diskussion Welche alte Sprache beherrscht ein Ormut-Priester? kam auch das Thema der aranischen Silbenschrift, die ja auch für das Scharidische verwendet wird, zur Sprache. Die Diskussion brachte mich zum Nachdenken über folgendes Problem: Eine Silbenschrift umfasst immer nur die Silben, die in einer bestimmten Sprache vorkommen. Diese ist in diesem Fall das Aranische. Diese umfasst z. B. Silbe wie "or", "mut", "a", "la", "man", "dar", "ja", "bar", "ar", "an" etc. Die scharidische Sprache hat aber völlig andere Silben, z. B. "mu/mo", "ka", "tam", "din", "du", "la", "hi" etc. Wie konnten dann die Schariden, die eine völlig andere Sprache mit völlig anderen Silben haben, die aranische Silbenschrift übernehmen? Wenn es eine aranische Alphabetschrift wäre, wäre das ja leicht, aber eine Silbenschrift? Gibt es hier irgendwelche Linguisten, die das erklären könnten?
Henry Loénwind Geschrieben 9. März 2005 report Geschrieben 9. März 2005 Da brauch ich kein Linguist zu sein, um das zu erklären. Schauen wir uns doch einfach mal das Englische an---es verwendet eine Buchstabenschrift mit 26 Buchstaben, aber die wirklich gesprochenen Phoneme haben mit diesen Buchstaben nur relativ wenig zu tun. Nehmen wir doch einfach mal die 3 verschiedenen Vokale, die hier alle mit dem selben Buchstaben geschrieben werden: "a", "Ball", "Bank". Die verwendete Schrift ist also für eine Sprache relativ uninteressant. Man braucht nur genug Konventionen, wie gewisse Buchstabenkombinationen (im Zweifelfalle halt ganze Wörter) gesprochen werden müssen, dann klappt das schon. Natürlich ist es einfacher, je weniger Konventionen man benötigt... Zurück zu den Schariden. Diese können jetzt entweder die aranischen Schriftzeichen so umdefinieren, dass sie den Silben entsprechen, die benötigt werden (vergleiche hier auch das lateinische C und das kyrillische C), oder sie verwenden Schriftzeichen, die nahe gneug an der Ausprache sind und definieren, dass diese in bestimmten Wörtern anders ausgesprochen werden müssen (so wie es die Engländer machen). Alternativ können sie auch ein paar neue Schriftzeichen einführen (vergleiche äöüß in der deutschen Variante der lateinischen Schrift). Aber egal was sie machen, um einen scharidischen Text vorlesen zu können, reicht es nicht, die aranische Schrift zu beherrschen (laß mal einen Engländer einen deutschen Text vorlesen), man muß auch die scharidische Sprache beherrschen.
Kazzirah Geschrieben 10. März 2005 report Geschrieben 10. März 2005 Solche Übernahmen von Schriften gab es doch in unserer irdischen Welt auch immer wieder. Jede Schrift (auch eine Lautschrift wie unser lateinisches Alphabet) ist immer auf eine spezifische Sprache ausgelegt. Wird eien Schrift auf eine andere Sprache übertragen, werden fast immer einzelne Zeichen umgewertet und/oder ergänzt, um sie den Gegebenheiten der neuen Sprache anzupassen. Das Kyrillische Alphabet wird z.B. auch auf alle Sprachen der Russischen Föderation angewendet, obwohl sie größtenteils keine slawischen Sprachen sind.
Olafsdottir Geschrieben 10. März 2005 report Geschrieben 10. März 2005 Der Linguist ist gerade in Aegypten... Wenn das Thema nach meiner Rueckkehr (21.03.) noch aktuell ist, sage ich gern etwas dazu. Rainer
GH Geschrieben 10. März 2005 report Geschrieben 10. März 2005 Ein klassisches Beispiel für die Übernahme und gleichzeitige Funktionsänderung eines Schriftsystems stellt das Japanische dar. Im 4. Jahrhundert fing man in Japan an, Japanisch mit chinesischen Schriftzeichen zu schreiben. Die Sprachen sind nicht miteinander verwandt - es war lediglich ein Teil der allgemeinen Anverwandlung chinesischer Kultur. Der regelmäßige Silbenaufbau des Japanischen begünstigt die Schreibung mit Silbenzeichen. Aus diesem Grund verwendete man einsilbige chinesische Wortzeichen nur ihres Lautwerts wegen. Später modifizierte man diese Schreibweise, da sie zur Schreibung mehrsilbiger japanischer Wörter eine größere Zahl an chinesischen Schriftzeichen erforderte. Zur Vereinfachung übernahm man nun auch den Bedeutungsgehalt der chinesischen Zeichen und schrieb mit einem Zeichen die sinngleichen Grundbegriffe im Japanischen. Der Bedeutungsgehalt des chinesischen Zeichens blieb also erhalten, es wurde lediglich japanisch gelesen. Gleichzeitig benutzte man chinesische Zeichen weiterhin als reine Lautträger, um damit Partikel und Flexionsendungen (die es im Chinesischen nicht gibt) auszudrücken. Aus diesen Laut-Zeichen entwickelten sich dann durch fortwährende Vereinfachung die beiden rein japanischen Silbenschriften Hiragana und Katakana, die auch heute in Gebrauch sind. Gruß GH
Kazzirah Geschrieben 11. März 2005 report Geschrieben 11. März 2005 Ein weiteres Beispiel ist das griechische Alphabet, das eine direkte Fortentwicklung der Phönikischen Silbenschrift ist. Da diese für das Griechische nicht wirklich praktikabel war, wurden die einzelnen Zeichen mit den einzelnen Lauten des Griechischen verbunden. Da dann noch ein paar Zeichen übrig blieben, wurden diese dann für die Vokale (von denen das Griechische reichlich hat) zu Vokalen.
Morpheus Geschrieben 25. März 2005 Autor report Geschrieben 25. März 2005 Danke sehr für eure fundierten Beiträge! So ganz überzeugt bin ich allerdings noch nicht. Die meisten gebrachten Beispiele bezogen sich auf die Übernahme von Alphabetschriften für andere Sprachen. Dort ist die Sache deutlich einfacher. Die meisten Sprachen haben ziemlich ähnliche Laute, die in dieser Sprache vorkommen. Deshalb ist es um einiges leichter, eine Alphabetschrift für eine andere Sprache zu adaptieren. Man darf davon ausgehen, dass der Buchstabe "e" in den meisten Sprachen mit lateinischem Alphabet ziemlich ähnlich ausgesprochen wird (Ausnahmen sind hier Sprachen wie das Englische, Irische oder Französische, bei denen es aus historischen Gründen keine so klare Laut-Buchstaben-Zuordnung gibt). Wenn in einigen Sprachen das "e" als [ä] statt als [e] ausgesprochen wird, ist der Unterschied nicht zu groß. Anders ist es bei Silbenschriften. Wenn auch fast jede Sprache im Grunde ähnliche Laute besitzt, so werden diese in den verschiedenen Sprachen völlig unterschiedlich kombiniert. Eine Lautkombination wie "Krk" wäre im Deutschen völlig unmöglich, im Kroatischen hingegen schon. Um eine Silbenschrift umzudeuten wäre daher eine viel größere Veränderung vonnöten. Wenn man das Deutsche mit einer auf das Kroatische ausgelegten Silbenschrift schreiben müsste man z. B. das Zeichen für die Silbe "krk" z. b. zu "kra" umdeuten. Und das müsste man mit fast jedem Symbol der kroatischen Silbenschrift machen. Durch diese willkürliche Veränderung der Bedeutung würde am Ende kein Kroate mehr ein deutsches Wort lesen können, das mit der kroatischen Silbenschrift geschrieben wurde. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, "krkn" würde "Kran" heißen. Bei einer Alphabetschrift ist das in den meisten Fällen aber sehr wohl möglich. Ich würde das Wort "cinque" zwar barbarischerweise als [zinque] aussprechen statt als [tschinque], aber man würde mich zumindest verstehen. Außerdem müsste man bei der Adaption einer Silbenschrift noch einige Dutzend neue Zeichen erfinden, um diese Silben darzustellen, die absolut keine Ähnlichkeiten zu den Silben der Sprache haben, aus der die Schrift entnommen wurde. Auch im Falle des Japanischen haben wir nicht direkt eine Übernahme einer Silbenschrift, sondern die Umdeutung einer Bildschrift in eine Silbenschrift. Außerdem scheinen ja auch die Japaner nicht mit der reinen Übernahme der chinesischen Schrift nicht ausgekommen zu sein. Sie mussten hunderte neue Zeichen hinzuerfinden, Zeichen (ziemlich brutal) umdeuten und einem Zeichen mehrere Lesearten zuordnen. Ich kenne kein historisches Beispiel für die Übernahme einer Silbenschrift als Silbenschrift für eine andere (nicht verwandte) Sprache. Was aber natürlich auch an meinem begrenzten Wissen liegen kann.
Kazzirah Geschrieben 29. März 2005 report Geschrieben 29. März 2005 Ich gehe auch bei der Übernahme der aranischen Silbenschrift für das Scharidische davon aus, dass die Silben nict mehr den gleichen Lautwert haben, sondern ziemlich sicher Umdeutungen und -wertungen passiert sind. Auch mit Erweiterungen, Änderungen etc ist nicht wirklich zu rechnen. (Schließlich muss ich ja Regeltechnisch alle landestypischen Schriftvarianten einzeln lernen. Die Unterschiede dürften größer sein als zwischen dem deutschen und den französichen Alphabet.) Wenn dir die gegeben Beispiele nicht reichen, nimm doch einfach die arabische Schrift, die eben nicht nur für das Arabische verwendet wird, sondern z.B. auch für das sprachlich sehr weit entfernte Persische (dessen alte Schrift es verdrängt), das Kurdische, lange Zeit für das Türkische, sowie für diverse afrikanische und einige andere Sprachen des islamischen Kulturraumes, die vor allem gemeinsam haben, dass sie nicht mit dem Arabischen verwandt sind.
Holger Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Aber auch das Arabische basiert nicht auf einer Silbenschrift (sondern auf einem Alphabet, nur mit der zusätzlichen Eigenheit, dass kurze Vokale keine Entsprechung in Buchstaben, sondern allenfalls in diakritischen Zeichen haben), womit Morpheus' Argument also nicht entkräftet ist. Ich habe zugegebenermaßen diese Diskussion noch nicht bis in jedes Detail mitverfolgt, aber ich bin wie Morpheus noch nicht überzeugt: Der Aufbau aranischer und scharidischer Wörter ist oftmals so unterschiedlich, dass ich da Schwierigkeiten sehe. Grüße, Holger
Ticaya Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Hallo! Ein Beispiel für die Übernahme einer Silbenschrift von einer nicht verwandten Sprache ist das Hethitische, eine indo-europäische Sprache, welche die akkadische Keilschrift übernommen hat. Die Silben bestehen immer aus KV, VK oder KVK. Somit ist es nicht möglich, zu Anfang oder Ende eines Wortes zwei Konsonanten zu haben bzw. drei in der Mitte eines Wortes, was im Hethitischen jedoch vorkommt. Daher hilft sich das Hethitische damit aus, zusätzliche Vokale in der Schrift einzufügen, die beim Lesen jedoch wieder weggelassen werden müssen. Auch wurden verschiedene Silben unterschiedlich ausgesprochen. Da ein Zeichen auch nicht nur für eine Silbe stand, sondern es immer mehrere Möglichkeiten gab, war es für einen akkadischen Schreiber nicht mal möglich, einen hethitischen Text vorzulesen, wenn er die Sprache nicht konnte. Die Keilschrift mussten die Schreiber sowieso lernen (als lingua franca), und für diejenigen, die Hethitisch konnten, war es kein Problem, es auch in Keilschrift zu lesen. Die Hethiter hielten sogar an der Keilschrift fest, obwohl sie zusätzlich auch ihre hethitischen Hieroglyphen hatten. Viele Grüße Ticaya
Fimolas Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Hallo Ticaya! Die Keilschrift mussten die Schreiber sowieso lernen (als lingua franca) [...]Als Sprachwissenschaftlerin kannst Du mir doch sicherlich noch den Begriff "lingua franca" erklären, oder? Liebe Grüße, , Fimolas!
Solwac Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Hallo Ticaya! Die Keilschrift mussten die Schreiber sowieso lernen (als lingua franca) [...]Als Sprachwissenschaftlerin kannst Du mir doch sicherlich noch den Begriff "lingua franca" erklären, oder? Liebe Grüße, , Fimolas! Ich bin zwar nicht Tikaya, aber eine Lingua franca ist eine Sprache, die über eine Kulturgrenze hinweg als gemeinsame Sprache u.a. für den Handel benutzt wurde. So als wenn wir uns heute mit einem Japaner in Rom auf Englisch unterhalten würden. Solwac
Fimolas Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Hallo Solwac! Ich bin zwar nicht Tikaya, aber eine Lingua franca ist eine Sprache, die über eine Kulturgrenze hinweg als gemeinsame Sprache u.a. für den Handel benutzt wurde. So als wenn wir uns heute mit einem Japaner in Rom auf Englisch unterhalten würden.Aber die Keilschrift ist, wie ihr Name schon sagt, eine Schrift und keine Sprache. Ist der Begriff also auch so ohne Weiteres auf Schriften anwendbar? Außerdem würde mich interessieren, woher der Begriff stammt, vor allem das "franca". Liebe Grüße, , Fimolas!
Solwac Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Der Begriff kommt aus der Zeit der Kreuzzüge, als im nahen Osten eine Pidgin-Sprache aus Latein (Italienisch) mit starken arabischen Einfluss entstand. Damit konnten sich alle verständigen. Die Byzantiner und die Araber haben alle Kreuzfahrer als Franken bezeichnet. Der Begriff wurde von Ticaya dann wohl übertragen auf die Schrift verwendet. Solwac
Fimolas Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Hallo Solwac! Der Begriff kommt aus der Zeit der Kreuzzüge, als im nahen Osten eine Pidgin-Sprache aus Latein (Italienisch) mit starken arabischen Einfluss entstand. Damit konnten sich alle verständigen. Die Byzantiner und die Araber haben alle Kreuzfahrer als Franken bezeichnet.Vielen Dank für Deine Antworten! Man lernt halt nie aus. Liebe Grüße, , Fimolas!
Ticaya Geschrieben 30. März 2005 report Geschrieben 30. März 2005 Hi! Ich habe mich etwas missverständlich ausgedrückt: Natürlich war die Sprache die lingua franca, insbesondere im Schriftverkehr, bis es schließlich vom Aramäischen verdrängt worden ist. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass "Akkadisch" ein Oberbegriff für Assyrisch-Babylonisch ist und es eine "akkadische" Sprache so nie wirklich gab... Nicht nur das Hethitische hat diese Keilschrift übernommen, sondern auch andere semitische Sprachen, auf die ich jedoch nicht eingegangen bin, da nach Sprachen gesucht wurde, die nicht miteinander verwandt sind. Viele Grüße Ticaya
Holger Geschrieben 31. März 2005 report Geschrieben 31. März 2005 Hallo Ticaya, vielen Dank für das Beispiel. Das ist doch gleich etwas anderes, wenn man ein Problem an einem konkreten Fall veranschaulicht bekommt. Grüße, Holger
Morpheus Geschrieben 1. April 2005 Autor report Geschrieben 1. April 2005 Da kann ich mich Holger nur anschließen. Vielen Dank, Ticaya! Es kommt also, wie auch die anderen schon sagten, zu einer (teilweise ziemlich brutalen) Umdeutung der Silben. Einige lassen sich besser übernehmen, andere eher wenige. Bei einigen Silben kann man durch diakritische Zeichen noch ein paar Änderungen machen, die meisten Silbensymbole werden sich aber in den beiden Sprachen sehr voneinander unterscheiden. Ticaya, was machten die Hethiter, um zu zeigen, welche Vokale ausgesprochen werden und welche nicht? Das wäre noch etwas, was uns zum besseren Verständnis der scharidischen Variante der aranischen Silbenschrift helfen würde.
Ticaya Geschrieben 1. April 2005 report Geschrieben 1. April 2005 Ticaya, was machten die Hethiter, um zu zeigen, welche Vokale ausgesprochen werden und welche nicht?Gar nichts!Wer die Sprache kann, weiß schon, welche Vokale überflüssig sind und welche nicht. Wenn ich an "nicht" irgendeinen Vokal anhängen würde, verstünde man trotzdem, was ich meine, da es dieses andere Wort im Deutschen nicht gibt. Außerdem darf man sich die Schrift nicht starr vorstellen, es gibt zig verschiedene Varianten, ein Wort zu schreiben, je nach Vorliebe des Schreibers. Doppelte Konsonanten können für einen stehen, ein Konsonant für zwei gleiche... was machen da ein paar Vokale mehr aus? Da wir selbst mit genau festgelegten Regeln der Rechtschreibung aufgewachsen sind, hört sich das jetzt vielleicht alles ein wenig ungenau oder auch unpraktisch an, aber es hat funktioniert! Anfänger in solchen Schriften tun sich damit zu Beginn immer sehr schwer, aber mit ein bisschen Übung denkt man gar nicht mehr darüber nach, man liest es einfach! Viele Grüße Ticaya
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